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Weinkenner Stuart Pigott lebt in Berlin.

© picture-alliance/ dpa

Einbürgerung in Berlin: Stuart Pigotts persönlicher Brexit

"Ein fieses Stück britischen Humors", sagt Stuart Pigott. Der englische Weinautor lebt in Berlin und will in der EU bleiben. Deshalb ließ er sich einbürgern.

Es gibt vermutlich keinen maßgeblichen Weingarten auf der Welt, den Stuart Pigott noch nicht betreten und anschließend beschrieben hat, egal, ob in China, Frankreich oder Brandenburg. Unzählige Bücher, Kolumnen, Bewertungen gehen auf seine Arbeit zurück, die er mit britischer Ironie so beschreibt: "Ich frage mich häufig, ob ich selbst mich entschieden habe, all das zu tun, oder ob der große Gott des Weins mich ausgesucht hat, diesen Pfad für ihn zu gehen." Seine jüngste Entscheidung hat Pigott klar aus eigenem Antrieb getroffen: Er ist seit einigen Wochen deutscher Staatsbürger.

Mit dem deutschen Riesling begann seine Karriere

Keine Überraschung, eigentlich. Denn Pigott, 57, lebt seit 1994 mit wenigen Unterbrechungen in Berlin, er war mit einer Deutschen verheiratet, ist derzeit mit einer Deutschen liiert, und der Gott des Weins hat ihn, wenn überhaupt, zu allererst dafür ausgesucht, den Pfad des deutschen Rieslings zu gehen, mit dessen Lobpreisung seine Karriere begann. Auch sein Erweckungserlebnis fand in Deutschland statt, bei einem Schüleraustausch in Ludwigshafen: Da war er 16 und fasziniert vom Inhalt des Weinkühlschranks der Gastfamilie.

Doch sein Impuls, dieses Verhältnis nun gewissermaßen zu legalisieren, kam vom Brexit, den er als "fieses Stück britischen Humors" beschreibt. Für ihn ging es eindeutig um die Frage, ob er zukünftig EU-Bürger sein oder Brite bleiben wolle. Die Brexit-Entscheidung ist für ihn eine katastrophale Entscheidung unfähiger Politiker. Aber auch der Unwille seiner Landleute, die eigene Vergangenheit so vorbehaltlos aufzuarbeiten, wie es die Deutschen getan haben, stieß ihn ab.

Zuvorkommende Berliner Behörden

Die Feinheiten der letzten Meter hat Pigott in der FAS beschrieben, wo er seit vielen Jahren auch eine wöchentliche Weinkolumne pflegt. Die Berliner Behörden erlebte er als zuvorkommend, obwohl er im Hinblick auf den Brexit Druck machte, die Einbürgerung kostete 255 Euro plus 25 Euro für den Wissenstest, den er mit 32 von 33 richtigen Antworten meisterte, und der Sprachtest blieb ihm erspart, weil die Sachbearbeiterin angesichts seines fließenden Deutsch davon absehen durfte.

Acht Steuererklärungen sowie Bescheinigungen des Steuerberaters und der wichtigsten Auftraggeber waren vorzulegen für den Nachweis wirtschaftlicher Selbstständigkeit. Sonst: nichts Spektakuläres, keine sture Bürokratie, die ihn in seiner Entscheidung hätte erschüttern können, nur ein ulkiger Schlusspunkt. Denn die Einbürgerungszeremonie im Rathaus Mitte März wurde von festlicher Musik untermalt, komponiert ausgerechnet vom Briten Henry Purcell. Hinterher kam dann aber doch noch die Nationalhymne, und alles war gut.

Dass er an seiner exzentrischen Erscheinung auch als Deutscher nichts ändern wird, zeigt das Foto der Einbürgerungsfeier: Das Sakko buntkariert, die Hose grün gestreift, die Krawatte ein pfauenfederner Leuchtstreifen – alles so, wie man es von ihm seit Jahrzehnten kennt.

Pigott zieht es auch weiterhin in die Weingärten der Welt

Sein Leben wird er auch in Zukunft aber eher in den Weingärten der Welt als in einer Berliner Wohnung verbringen, denn Arbeit gibt es immer. Er reist als Verkoster für den Amerikaner James Suckling, der jährlich mehr als 17.000 Weine beschreibt, hat von New York aus E-Books unter dem Titel "Rock Stars of Wine America" herausgegeben und arbeitet gerade an einem Dokumentarfilm mit dem Namen "Wein weiblich" mit, deren Protagonistinnen ihn zwangen, im Schlamm eines Rheingauer Weinbergs mit der Rebschere herumzufuhrwerken. In acht Monaten sollen 500 Liter Riesling fertig sein, ganz und gar aus deutscher Hand.

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