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Berlin: „Eine Bankrotterklärung“

Die Reaktionen der Bildungsexperten auf das Gerichtsurteil klaffen weit auseinander.

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Von „absolut richtig“ bis „eine peinliche und unverschämte Pauschalisierung“ – die Reaktionen auf die Kritik des Kammergerichts könnten konträrer nicht sein. Der Sprecher der Senatsbildungsverwaltung, Jens Stiller, kann die „pauschale Einschätzung des Gerichts in diesem Einzelfall“ nicht teilen. „Wir gehören, was die Lehrer-Schüler-Relation an Grundschulen anbelangt, zu den besten drei Bundesländern“, sagt er am Sonntag. „Zu dem konkreten Fall kann ich erst etwas sagen, wenn mir die Einzelheiten bekannt sind, aber es gibt in Berlin ein zwischen Schule und Hort abgestimmtes Bildungs- und Betreuungskonzept. Das bedeute beispielsweise auch, dass den Kindern bei den Hausaufgaben geholfen wird.“

Berlins Landeselternsprecher André Schindler stimmt den Richtern hingegen voll und ganz zu: „Dasselbe kritisieren wir seit vielen Jahren“, sagte er gestern dem Tagesspiegel. „Wir merken ja beispielsweise an der extremen Zunahme der Nachhilfeangebote, dass viele Lehrer und Eltern überfordert sind. Das Schlimme ist nur, dass dadurch die soziale Selektion verstärkt wird: Nur wer Geld hat, kann sich Nachhilfe, kann sich gute Bildung leisten.“

Aus Sicht von Inge Hirschmann, der Vorsitzenden des Grundschulverbandes, ist das vorzeitig bekannt gewordene Urteil eine „Bankrotterklärung für die Berliner Politik“. Die Richter hätten zu Recht bemängelt, „dass die Rahmenbedingungen in Schulen und Horten besser werden müssen“. Allerdings warnt sie davor, generell die Ganztagsschule zu verurteilen. Es gebe in einigen Schulen sehr große Engpässe beim Personal und bei den Räumen für die Betreuung der Schüler über den Unterricht hinaus, aber die Lage sei nicht in jeder Schule gleich.

Nicht einverstanden ist Inge Hirschmann mit der Einschätzung der Richter, dass Schulen und Horte generell damit überfordert seien, Kindern Rück sicht, Zuwendung und Förderung zu bieten. „Das ist ein Glaubensbekenntnis, ob der Staat so etwas leisten kann“, sagt sie. „Ich hingegen glaube, dass der Staat dazu im Prinzip in der Lage ist." Dafür müssten aber genug Räume und genug Lehrer und Erzieher an den Schulen vorhanden sein. So sollte pro Lerngruppe eigentlich ein eigener Raum für die Hortbetreuung vorhanden sein, auch müsste die Kinderzahl pro Erzieherin kleiner sein. Im Moment liege der Schlüssel im Durchschnitt bei einer Erzieherin für 22 Kinder  – in Ländern wie Finnland seien in einer Gruppe gerade einmal zwölf bis 14 Kinder.

Die bildungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Felicitas Tesch, ist hingegen über die Gerichtsschelte für die Grundschulen empört: „Es ist unverschämt, aus einem Einzelfall eine solch pauschale und vernichtende Kritik abzuleiten“, meint sie: „Und es ist auch ein wenig peinlich für die Richter, denn gerade bei den Grundschulen steht Berlin im Vergleich zu den meisten anderen Bundesländern sehr gut da.“

Das betreffe, so Tesch, sowohl die Betreuung im Hort als auch die Personalausstattung: „Wir sind in das vergangene Schuljahr ohne Lehrermangel gestartet. Die Richter sollten sich mal anschauen, was in Sachen Ganztagsbetreuung beispielsweise an den Schulen in Bayern los ist.“

Inge Hirschmann appellierte am Sonntag an die Landesregierung, sie möge dieses Urteil zum Anlass nehmen, unbverzüglich eine Kommission einzusetzen, die den exakten pädagogischen Bedarf in jeder Schule ermittelt. „Wer Verantwortung für Kinder ganztags übernimmt, muss auch für die entsprechende Ausstattung sorgen“, sagte die Vorsitzende des Grundschulverbandes. das/lvt

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