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Tierflüsterin. Schon seit ihrer Kindheit begeistert sich Barbara Geiger für Wölfe.

©  Kitty Kleist-Heinrich

Eine Bühne für die Tiere: Mary Poppins und der gute Wolf

Barbara Geiger hat früher Shakespeare gespielt. Jetzt informiert sie beim Tiertheater in Schöneberg über bedrohte Arten.

Der Wolf ist die Marlene Dietrich unter den Tieren“, sagt Barbara Geiger und legt los, ist nicht mehr zu bremsen, die Worte sprudeln nur so aus ihr heraus. „Der Leib ist hager, der Bauch eingezogen; die Läufe sind klapperdürr und schmalpfotig. Die Schnauze erscheint im Verhältnis zu dem dicken Kopfe gestreckt und spitzig. Die breite Stirn fällt schief ab; die Seher – die Augen – stehen schräg, die Lauscher immer aufrecht.“ Das ist ein Zitat aus „Alfred Brehms Tierleben“, einem Tierlexikon aus dem 19. Jahrhundert.

Die Passage ist ein Auszug aus dem Stück „Canis lupus“, Barbara Geiger macht Tiertheater. In einstündigen Monologen, freigegeben ab acht Jahren, spricht sie in schwungvoller, poetischer Sprache über bedrohte Tierarten. Sie sei eine Mischung aus Mary Poppins, Miss Marple, Eckart von Hirschhausen und Albert Einstein, sagt die Schauspielerin. Seit März 2013 wird das Repertoire auch im Theater im Natur-Park Schöneberger Südgelände gespielt, immer an den Wochenenden. Der Eintritt beträgt 0,63 Prozent des Nettoeinkommens des Besuchers.

Ihren ersten Wolf ist sie mit sechs Jahren begegnet

Barbara Geiger stammt aus Bayern, kam 1993 nach Berlin, hat eine Schauspielausbildung in London hinter sich und früher Shakespeare gespielt. „Ich hätte niemals gedacht, dass ich mal was mit Tieren mache“, erzählt die 53-Jährige. Von Wölfen war sie allerdings schon recht früh fasziniert, dem ersten ist sie im Alter von sechs Jahren im Nationalpark Bayerischer Wald begegnet.

Nun soll ihr Werk über den Wolf das Tier von allen Seiten behandeln. So heulen Wölfe zum Beispiel stets mehrstimmig, nie einstimmig. Es gibt sogar regionale Heuldialekte. Der Wolf ist auch höflich, denn er antwortet immer auf das Geheul eines anderen, erfahren Zuhörer. Alles in den Stücken sei wissenschaftlich belegt, sagt Geiger, und wurde in Zusammenarbeit mit Forschern erstellt.

In die Stücke wird neueste Forschung eingearbeitet

Für das Stück über den Wolf zum Beispiel arbeitete Barbara Geiger mit dem Lupus Institut im sächsischen Rietschen zusammen. Die dortige Leiterin Ilka Reinhard ist ganz fasziniert von den Tierstücken und war vor einigen Jahren auch auf der Uraufführung von „Canis lupus“. „Die Zusammenarbeit ist sehr intensiv“, erinnert sich Reinhard. Geiger rufe auch heute noch immer mal wieder an und versuche, die neuesten Forschungsergebnisse in die Stücke einzubauen, den Text upzudaten. „Also das ist irre und beeindruckend, was Geiger da macht“, findet Ilka Reinhard.

Derzeit arbeitet Barbara Geiger am Schwein. Angefangen mit Tiertheater habe sie vor zwölf Jahren. Mittlerweile beschäftigt sie ein Ensemble von zwölf Schauspielerinnen. Im letzten Jahr waren es rund 450 Vorführungen weltweit, auch an Universitäten oder zu wissenschaftlichen Kongressen. 2011 hat sie die „Stiftung Fräulein Brehms Tierleben“ ins Leben gerufen. Durch die Gemeinnützigkeit sei gewährleistet, dass sämtliche Einnahmen in die Weiterführung der Reihe fließen können. Im Repertoire ist vom Regenwurm über die Biene bis zum Hering einiges dabei – auch Rauchschwalbe und Kuh.

Auf Treffen von Jägern oder Schäfern wird sie zuerst nicht ernst genommen

Wenn Geiger ihre Stücke auf einer Versammlung von Schäfern oder auf Jäger-Kongressen spielt, werde sie dort zunächst nicht ernst genommen, erzählt sie. Doch nach dem Stück sei man sich meist einig: Das Problem ist nicht der Wolf, sondern die Politik. „Die Schäfer haben es schwer. Zwar bekommen sie die Zäune zum Schutz vor Wölfen gefördert, aber die Arbeitszeit zum Aufstellen dieser nicht. Dabei müsste das eigentlich die Stadt oder das Land übernehmen.“ Unter Umständen könne der Wolf auch Schaf und Schäfer schützen, sagt Barbara Geiger.

Der Schäfer Frank Neumann bestätigt das, denn er habe es in der Lausitz so erlebt. Neumann hatte zu Spitzenzeiten 2000 Schafe, heute ist er in Rente und sein Sohn führt den Betrieb mit noch 1500 Tieren weiter. Die Schafe sind in einem Wolfsterritorium beheimatet und durch einen Elektrozaun gesichert. Die Wolfseltern haben das bereits schmerzhaft erfahren – und geben das Wissen an die Jungtiere weiter, welche sich mittlerweile nicht mehr der Schafherde nähern. „Das Schaf tut weh“, wüssten die Jungtiere von den Eltern, erzählt Neumann.

Wirklich gefährlich für die Herden sind nur die Wanderwölfe

Gefährlich für die Schafe und die Tiere auf dem Hof wären nur Wanderwölfe, frisch ausgezogene Jungtiere auf der Suche nach Nahrung im Unwissen über den Elektrozaun. Deswegen hat Neumann über viele Jahre ein System aufgebaut – mit Hilfe einer Wolfsfamilie. Denn Tiere auf Wanderschaft erkennen das Gebiet einer funktionierenden Familie an Kratzspuren, Urin-Markierungen und Geheul. Sie ziehen dann schnell weiter und siedeln sich dort nicht an – oder dringen teilweise gar nicht in das Territorium ein.

Gefährlich werde es erst, wenn ein Wolf aus einer Familie geschossen werde, erklärt Barbara Geiger. Denn dadurch erreiche man keinesfalls die Dezimierung von Wölfen. Zwar sei es nun ein Tier weniger, allerdings könnten nun Wanderwölfe in das eigentlich etablierte Gebiet der zerstörten Familie kommen und sich mit Frau und Nachwuchs paaren. „Das Gleichgewicht des Territoriums ist dann gestört. Die Wölfe regulieren sich selbst, das muss der Mensch nicht machen.“

Bald ist auf Neumanns Bauernhof Schluss. „Nächstes Jahr wird es hier keine Schafe mehr geben“, sagt der Schäfer. Dort wurde einen Braunkohletagebau errichtet. 2500 Hektar hatten Neumanns einst, nach der Wende pachteten sie Flächen von Privateigentümern. Diese müssen ihre Gebiete nun an die Leag AG abgeben, die das Gebiet verwaltet und werden dafür entschädigt. Neumanns Hof wird sich auflösen, die Schafe werden alle geschlachtet. Und die Wölfe werden wohl auch nicht dort bleiben.

„Fräulein Brehms Tierleben“ auf dem Schöneberger Südgelände führt sonnabends und sonntags zwei Stücke auf, um 14 und um 16 Uhr. Am 20. April sind „Der Bär“ und „Die Nachtigall“ zu sehen, am 21. April „Die Bienen“ und „Der Luchs“. Der Eintritt beträgt 0,63 Prozent des Einkommens.

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