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Berlin: „Eine einzige Qual“

AlbertMeyerüberdieKriseder JüdischenGemeinde

Bei der Sitzung des Gemeindeparlaments am Mittwoch sind zwei der fünf Vorstandsmitglieder zurückgetreten. Zentrale Bereiche wie Finanzen, Personal, Schule sind vakant. Im vergangenen halben Jahr wurden zehn Misstrauensanträge gestellt. Ist die Gemeinde noch handlungsfähig?

Ja, wir haben hervorragende Mitarbeiter in der Verwaltung. Aber wir sind in einer Krise. Ich weiß noch nicht, wie es weitergehen soll, aber ich finde eine Lösung.

Sind Neuwahlen eine Lösung?

Sie wären eine Alternative. Denn wir sind mit dem Versprechen angetreten, die Gemeinde nicht in die Negativschlagzeilen zu bringen. Aber seit November gibt es ein Vorstandsmitglied, das nichts anderes tut, als die Gemeinde zu schädigen. Inhaltliche Arbeit ist nur schwer möglich. Die Parlamentssitzung am Mittwoch ähnelte laut Professor Schoeps einer „offenen Psychiatrie“. Aber ich fürchte, dass wir nicht die nötige Zweidrittelmehrheit für die Auflösung des Parlaments bekommen und uns bis zum Ende der Legislaturperiode in zwei Jahren weiterschleppen, was eine einzige Qual wäre.

Wer könnte helfen? Paul Spiegel, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, hat seine Hilfe angeboten.

Ich würde gerne Stephan Kramer, den Generalsekretär des Zentralrats, als Vorstandsmitglied vorschlagen. Kramer wäre bereit, ich habe mit ihm gesprochen. Er könnte der Gemeinde große Dienste leisten. Er verfügt über Außenkontakte und könnte die Gemeinde repräsentieren, wenn ich nicht weitermache.

Sie wollen aufhören?

Bei Neuwahlen werde ich nicht mehr antreten. Es war eine interessante Zeit, aber auch eine schmerzvolle.

Warum sind in Berlin die Probleme so groß? In anderen Gemeinden läuft es doch ganz gut.

Nach Berlin sind schon immer mehr Zuwanderer gekommen als in andere Städte. Das war nach dem Krieg so und ist jetzt so. Seit zehn Jahren sind zudem viele unterprivilegierte Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion gekommen, die nur bedingt bereit sind, sich zu integrieren und Deutsch zu lernen. Unsere Gemeindezeitung ist zweisprachig, ein Fehler. Es kann nicht angehen, dass wir eine zweisprachige Gemeinde aufbauen.

Gibt es überhaupt genügend Sprachkurse?

Wir arbeiten mit der Zentralen Wohlfahrtsstelle zusammen, die beste Arbeit leistet. An Angeboten mangelt es nicht.

Ist ein Teil des Problems die Berliner Mentalität? Man ist an Subventionen gewöhnt und kann sich Personalquerelen hingeben.

Wir sind ein Spiegel unserer Umwelt. Unsere Verwaltung könnte mit 100 Personen auskommen, wir haben aber 400.

Wird es trotz der Probleme dieses Jahr Jüdische Kulturtage geben?

Sicher. Das Thema sind die Zwanzigerjahre. Wir werden auf dem Gelände der Synagoge in der Oranienburger Straße ein Spiegelzelt für 400 Leute aufbauen.

Albert Meyer (58)

ist seit zwei Jahren Vorsitzender der

Jüdischen Gemeinde Berlin, die sich erneut über Personalfragen zerstritten hat.

Das Gespräch führte Claudia Keller.

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