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Berlin: Eine Familie im rechtlichen Niemandsland Ein Datum wird zum Schicksal: Bosniern droht Abschiebung

Sie warten. Sie sind unschuldig, und trotzdem haben sie Angst abgeholt zu werden von der Polizei.

Von Caroline Fetscher

Sie warten. Sie sind unschuldig, und trotzdem haben sie Angst abgeholt zu werden von der Polizei. Keiner der drei, Mutter, Vater, Kind, hat etwas verbrochen. Aber sie sollen nicht länger in Berlin, in Deutschland bleiben dürfen. Senad Tobudic, 32 Jahre alt, Neira, vier Jahre, und ihre Mutter Almasa, 27, kommen aus Bosnien.

Als Senad und Almasa vor dem Bürgerkrieg flüchteten, standen sie unter Schock. Senad wurde schwer krank, Psychologen vom Roten Kreuz bescheinigten ihm ein „posttraumatisches Stress-Syndrom“ und eine psychosomatische Krankheit des Verdauungstraktes, Morbus Crohn (siehe Tagesspiegel vom 20. März). Almasa verlor 1995 ihren Vater und andere Verwandte durch das Massaker in Srebrenica. Ärzte, Anwälte und Therapeuten der Familie erklären einstimmig: „Die Tobudics müssen hier bleiben, bis sie stabil genug sind, zurückzukehren. So weit sind sie noch lange nicht.“ Doch jetzt drohen ihnen Ausländerbehörde und Verwaltungsgericht mit Abschiebung. Der Grund: Die Trauma- Gutachten werden nicht anerkannt. Senad Tobudic, heißt es im Gerichtsbeschluss schlicht, sei gar nicht traumatisiert.

„Was ein amputiertes Bein bedeutet, das können Richter sehen. Verletzungen der Psyche sind für Gerichte Neuland“, erklärt Dietrich Koch, Psychologe und Traumaexperte des Berliner Behandlungszentrums „Xenion“. Dieses Defizit hatten im Juli 2002 auch die Politiker begriffen. Seither gilt in Berlin eine Weisung der Senatsverwaltung für Inneres, zur „Straffung des Begutachtungsverfahrens kriegsbedingter traumatischer Störungen.“ Auf einer offiziellen Liste stehen seither zwei Dutzend staatlich anerkannter Psychiater und anderer Fachleute, die Traumatisierungen feststellen können. Ihrem Rat wird jetzt in der Regel gefolgt.

Aber: Wer vor diesem Datum sein Trauma – Folter, Vergewaltigung, Störungen der Psyche – geltend gemacht hat, für den gilt die neue Regelung nicht. Senad und seine Ehefrau gehören zu diesen etwa 400 bosnischen Härtefällen in Berlin, die über den Rand dieser willkürlichen Datumsgrenze fallen. „Das ist absurd. Ich frage Innensenator Körting, wie er den Betroffenen erklären will, was mit ihnen passiert“, schüttelt Traumaexperte Dietrich Koch den Kopf. „Ich sage zu ihm: Das ist behördlich verordnete Unmenschlichkeit. Tun Sie etwas dagegen!“

Obwohl also Senad Tobudic Gutachten von zwei Fachleuten der offiziellen Liste – Dietrich Koch und Irene Petzoldova – vorweisen kann und Almasa Tobudic aus dem Massakerort Srebrenica kommt, erkennt das Verwaltungsgericht seine „Duldung“ als Flüchtling nicht länger an. Weder die Gutachter noch externe Fachleute wurden gehört. „Man verfährt da ohne jede Sorgfalt“, erklärt Anwalt Rüdiger Jung. Die sollen schon mal die Koffer packen, habe ihm unlängst eine Sachbearbeiterin der Ausländerbehörde erklärt. Zwar hat das Oberverwaltungsgericht dem Anwalt jetzt zugesichert, die Ausländerbehörde werde „vor einer Entscheidung keine Abschiebemaßnahmen ergreifen“. Doch die Familie lebt im Augenblick „im rechtlichen Niemandsland, in einer Grauzone“, erklärt der Asylrechtler Jung. Die Ausländerbehörde warte nur ab. „Das ist eine Art Stillhalteabkommen.“

Senad, Almasa und Neira beantragen nun, wie schon so oft, eine „Verlängerung der Grenzüberschrittsbescheinung“ – das ist die Bezeichnung für einen Visumsersatz. Der Schein gibt ihnen ein paar Tage Aufschub. Auch dass Almasa Tobudic schwanger ist und ihr Arzt attestiert, dass bei einer gewaltsamen Abschiebung das Ungeborene gefährdet wird, auch damit gewinnt Anwalt Jung noch Zeit: „Aber ein Zustand auf Dauer ist das für eine junge Familie nicht. Es ist nichts als eine Quälerei – und die Familie ist schon gequält genug von ihrer Geschichte.“

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