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Berlin: Eine Frage der Ehre?

Auch in Berlin werden afrikanische Mädchen beschnitten – im Verborgenen

Weltweit werden jährlich etwa zwei Millionen Mädchen an den Genitalien beschnitten. „Das soll die Fruchtbarkeit steigern oder steht für Sauberkeit, Treue und Ehre", sagt Gritt Richter, Referentin der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes. Vor allem in Afrika, aber auch auf der arabischen Halbinsel und in Asien ist Beschneidung üblich; weltweit sind 150 Millionen Frauen betroffen – „und weil Religion, Tradition und Gemeinschaft in Afrika sehr viel zählen, hält sich das Ritual hartnäckig", sagt Solange Nzimegne-Gölz, Berliner Ärztin und Leiterin der „Gesellschaft für die Rechte afrikanischer Frauen“. Unbeschnittene Mädchen werden nicht geheiratet, aus der Gemeinschaft ausgeschlossen, gehänselt.

Die Genitalverstümmelung ist aber nicht nur ein afrikanisches Problem. In Deutschland leben nach Schätzungen von Terre des Femmes rund 21000 betroffene ausländische Frauen und Mädchen, nach Angaben des Statistischen Bundesamts sogar 38000. Allein zu ihr kämen jährlich etwa 80 Frauen mit Beschwerden, sagt die Gynäkologin Sabine Müller vom Zentrum für Familienplanung und Sexualität in Lichterfelde. Zudem seien rund 6000 Mädchen jedes Jahr akut gefährdet, beschnitten zu werden. Auch in Berlin würden alle Formen der Verstümmelung durchgeführt – im Verborgenen.

Wer es sich leisten kann, gehe hier zu Ärzten, „vor allem zu afrikanischen, arabischen oder türkischen“, sagt Sabine Müller. Wie viele solche Aufträge annehmen, sei immer noch unbekannt, aber einer war 1999 bereits aufgeflogen. Die Hälfte der Mädchen werde aber in den Ferien zur Familie nach Afrika gebracht und dort beschnitten, oder es werden „Experten“ eingeflogen. So hat sich in diesem Jahr sogar der Petitionsausschuss des Bundestages gegen die Beschneidung eingesetzt.

Es gibt mehrere Formen. Bei der kleinen „Sunna“ – das arabische Wort für Tradition – wird die Vorhaut der Klitoris entfernt. Bei der „Klitoridektomie“ wird die gesamte Klitoris abgeschnitten. Die „Excision“ schließt die teilweise oder komplette Entfernung der kleinen Schamlippen ein. Die schwerste Form ist die „Infibulation", auch „pharaonische Beschneidung" nach der ägyptischen Herkunft. „Dabei werden Klitoris und Schamlippen teilweise oder komplett abgeschnitten und die Vagina bis auf eine winzige Öffnung zugenäht", sagt Müller. In der Folge stauen sich Urin und Menstruationsblut, und so leiden infibulierte Frauen oft ihr Leben lang unter Schmerzen und Infektionen. Etwa 15 Prozent aller beschnittenen Frauen, die zu ihr kommen, meist aus Ostafrika, sind davon betroffen.

Oft nehmen traditionelle Beschneiderinnen den Eingriff vor – ohne Narkose. Messer, Rasierklingen und Glasscherben ersetzten das Skalpell. Allerdings beschneiden in Afrika zunehmend auch Krankenschwestern oder Ärzte. Das verhindert zwar Folgeschäden wie Blutvergiftung. Das staatliche Gesundheitspersonal unterstützt aber so die Verstümmelungen – „obwohl Kenia, der Sudan, Senegal, Togo und Tansania sie bereits verboten haben“, sagt Gritt Richter von Terre des Femmes.

Stefanie Schwarz

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