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Fitnesstrainer Tobias Rothe.

© BARBOZA, www.barbozasport.com

Eine Hauptstadt im Fitnesswahn: Von Muckis und Moneten

431 Fitnessstudios gibt es in Berlin – in einem davon hat sich unser Autor mit einem Personaltrainer getroffen und das ein oder andere Kilogramm gestemmt.

Zugegeben, ich war ein wenig nervös, bevor ich Tobias Rothe traf. Ich hatte Videos von ihm auf Youtube gesehen, auf denen er mit seinen mächtigen Muskeln schwere Gewichte in die Luft stemmt. Jede einzelne Faser seines Körpers ist durchtrainiert, wie man auf den Aufnahmen sehen kann. Vor unserem ersten Aufeinandertreffen hatte ich mich daher vorbereitet, war Joggen gegangen, weil ich mich nicht blamieren wollte.

Das tue ich dann trotzdem bei unserer ersten Begegnung im „FitX“ auf dem Kurfürstendamm. „Die Leute denken, ein bisschen im Park joggen würde sie fit machen“, sagt Rothe. Wer aber wirklich fit werden wolle, müsse es machen wie er: „gezielt trainieren“. Ich glaube ihm sofort – seine Arme haben die Durchmesser meiner Oberschenkel.

Orte, um gezielt zu trainieren, gibt es in Berlin mittlerweile viele. Stand 2017 waren es genau 431 Studios, wie aus einer Untersuchung des Arbeitgeberverbandes deutscher Fitness- und Gesundheits-Anlagen (DSSV) hervorgeht – macht 8167 Einwohner pro Studio. Und die Sporttempel werden auch gut frequentiert: Rund eine halbe Millionen Menschen sind in der Hauptstadt in einem angemeldet. In der Studiodichte liegt Berlin damit an dritter Stelle hinter dem Saarland (7658 Einwohner pro Studio) und der Fitness-Hauptstadt Hamburg (5958). Vor allem im Vergleich mit den direkten Nachbarn geht es in Berlin überaus fit zu: Alle ostdeutschen Bundesländer liegen unter dem Bundesdurchschnitt von 9143.

Immer schön gerade

Und ich? Liege wahrscheinlich auch leicht unterm Schnitt. Das Gefühl zumindest vermittelt mir Trainer Rothe. Wir sind mittlerweile beim Freihanteltraining angelangt, ganz klassisch: Bankdrücken. Mein Gewicht: Nur die Stange. Wenn ich die Hantelstange so hochziehe, wie mir Rothe die korrekte Haltung vorschreibt, dann ist das auch ohne zusätzliches Gewicht anstrengend genug. Die Muskeln spannen. Und - zack! -, habe ich Rothes Finger im Rücken – wie kleine Nadelstiche erinnern sich mich daran, dass ich mich falsch bewegt habe. Rothe kennt keine Gnade.

Ich werde wütend. Wütend auf meinen Trainer. Ich habe das Verlangen, die Hantelstange hochzureißen, immer wieder, mich auszupowern. Aber dann kommt wieder der Finger von Rothe in den Rücken. „Gerade bleiben. Schau’ in den Spiegel“, kommandiert er. Ich beginne ihn zu hassen.

Zu unrecht. Denn ohne Trainer Rothe neben mir würde ich meine Muskeln falsch belasten – und schlimmstenfalls meine Gesundheit gefährden. „Ein Trainer hat Verantwortung“, sagt Rothe. Die Betreuung aber lässt er sich gut entlohnen. Mit 249 Euro für zwei Stunden Training plus Gespräch, um genau zu sein.

Lizenz für jedermann

Die Nachfrage ist vorhanden. Seine Kunden kommen nicht nur aus Berlin, sondern aus anderen deutschen Städten genauso wie aus der Schweiz oder Belgien angereist. Durchschnittlich 15 Kunden betreut er pro Woche, eine Mischung aus Stamm- und Wechselkunden, der jüngste 17, der älteste 63 Jahre alt. Dabei muss nicht jeder Kunde schwitzen: Rothe bietet auch Telefongespräche an, bei denen er Trainings- und Ernährungspläne ausarbeitet. Kostenpunkt: 119 Euro pro Stunde.

Und wer nicht nur gemeinsam mit ihm Hanteln stemmen, sondern auch die Kochkelle schwingen möchte, kann das bei einem Workshop für 600 Euro tun. Gekostet habe ich die Gerichte des 28-Jährigen nicht, schmecken dürfte es aber: Rothe ist gelernter Koch.

Reporter Klages im Einzeltraining mit Fitnesscoach Rothe.
Reporter Klages im Einzeltraining mit Fitnesscoach Rothe.

© Michele Galassi

Wie Rothe machen sich immer mehr Menschen als Fitnesstrainer selbstständig. Die Hürden dafür sind vergleichsweise gering: Eine Lizenz kann jeder machen. Und das ruft Fitness-Profi Rothe auf den Plan. „Eine Lizenz ist gut, sagt aber nichts über den Trainer aus“, warnt er. Erfahrung sei wichtiger. Manche Trainer würden einfach nur danebenstehen und hätten keine Ahnung davon, was schädlich für die Muskeln sei. Rothe zeigt mir ein Beispiel: Neben uns quält sich eine Frau auf dem Boden in vollkommen falscher Haltung – der Trainer steht daneben und schaut auf sein Handy.

Rothe hat sich vor sechs Jahren als Personal-Trainer selbständig gemacht. Davor hat er eine Ausbildung zum Sport- und Fitnesskaufmann absolviert. Ein Ausbildungsberuf, der erst 2001 in Deutschland eingeführt wurde. Mittlerweile kann nahezu jeder vierte Mitarbeiter in der Fitnessbranche (23,4 Prozent) eine solche Ausbildung vorweisen, heißt es in der DSSV-Studie.

Branche auf Wachstumskurs

Und auch wenn sich nicht jeder die Dienste eines Personaltrainers wie Rothe leisten kann, wächst die Branche laut DSSV. 2017 erwirtschaftete die Fitnesswirtschaft einen Nettoumsatz von 5,2 Milliarden Euro – eine Steigerung von drei Prozent. Die Zahl der Mitglieder stieg um rund 600 000 Personen auf 10,61 Millionen, die sich deutschlandweit auf 8 988 Studios verteilen – ein neues Hoch der Branche.

Damit sind mehr Menschen in Fitnessstudios angemeldet als in Fußballvereinen (sieben Millionen). Auch die Zahl der Mitarbeiter stieg in der Branche zuletzt. 209 900 Mitarbeiter zählte die Fitness- und Gesundheitsbranche in Deutschland 2017. Der Zuwachs stieg im Vergleich zu den Vorjahren allerdings etwas langsamer um 0,4 Prozent.

Dabei sind gut ausgebildete Mitarbeiter in den Studios enorm wichtig für die Kundenzufriedenheit, sagt DSSV-Geschäftsführer Refit Kamberovic. Es sei erkennbar, dass zukünftig wieder vermehrt auf den Einsatz von „echten Trainern“ gesetzt werde, da ist sich Kamberovic sicher. „In unserer Dienstleistungsbranche ist der persönliche Kontakt zum Kunden die wichtigste Erfolgsformel.“ Fast die Hälfte aller Mitarbeiter in Studios gebe an, auch eine Trainer-Lizenz zu besitzen.

Reporter Klages im Einzeltraining mit Fitnesscoach Rothe.
Reporter Klages im Einzeltraining mit Fitnesscoach Rothe.

© Michele Galassi

Der Fitnessboom wird dabei nicht länger von den klassischen Muckibuden getragen. Mikrostudios mit im Schnitt 1,3 Mitarbeitern, Anlagen nur für Frauen, Elektromuskelstimulation und Personal-Trainer weisen seit mehreren Jahren das stärkste Wachstum in der Fitnessbranche auf. Die Hauptstadt liegt diesbezüglich voll im Trend: Berlin hat mit 40,9 Prozent den höchsten Anteil an Mikroanlagen aller Bundesländer. Der Bundesdurchschnitt liegt bei 23,1 Prozent.

Dabei sorgen die kleinen Studios und selbständige Trainer für leichte Umsatzverluste bei den großen Studioketten. „Insgesamt sinkt der Nettoumsatz pro Anlage von 581 000 Euro auf 578 000 Euro, was durch den höheren Anteil an Mikroanlagen bedingt ist“, schreibt der DSSV. Trotzdem bewerten weiterhin über 82 Prozent der Betreiber von Kettenstudios ihre gegenwärtige wirtschaftliche Situation als „gut“ oder „eher gut“.

Persönlich und digital

Trainer Rothe versucht sich seinerseits unabhängig vom bloßen Trainingsgeschäft zu machen. Der Berliner versucht, seinen Namen zu einer eigenen, starken Marke im Fitness-Geschäft zu entwickeln. Und ist dabei auf einem guten Weg: Instagram, Twitch, Facebook – Rothe ist überall aktiv. Auf Youtube betreibt er gleich zwei Kanäle. „Classic Body“ ist mit 260 000 Abonnenten einer der größten Fitnesskanäle Deutschlands. Auch dort gibt er Ernährungs- und Fitnesstipps.

500 bis 600 Euro verdient er damit im Monat durch Werbeeinnahmen, sagt er. Es sind dabei keine billigen Homevideos, auf denen er Hanteln hebt, sondern aufwändig produzierte Clips. Ein gutes Konzept, glaubt DSSV-Geschäftsführer Kamberovic. „Gerade in der Kombination aus persönlicher Betreuung und Unterstützung durch digitale Elemente liegt die Zukunft“, sagt er. Ziel der Branche müsse es sein, weg vom reinen Trainingsanbieter hin zum Lebensstilberater zu kommen.

Muckis und Moneten – Trainer Rothe ist es gelungen, sein Hobby zum Beruf zu machen, seit er 14 Jahre alt war, stemmt er schon die Gewichte. Bei mir hingegen dürfte es noch eine Weile dauern, bis sich die Anstrengung in Bizeps und Trizeps bemerkbar macht. Dabei gebe ich mir alle Mühe mit den Hanteln. „Schwitzen bedeutet nicht gleich Erfolg“, warnt mich Rothe. Und steckt mir erneut den Finger in den Rücken – zack! Schon wieder falsch bewegt.

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