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Berlin: Eine Pflichtstunde mehr - Krankenstand um die Hälfte gestiegen

Trotz starker Worte: Seit dem Amtsantritt von Senator Böger hat der Unterrichtsausfall nicht abgenommenSusanne Vieth-Entus Vier Monate nach dem Amtsantritt von Schulsenator Klaus Böger und drei Wochen nach dem großen Sternmarsch von 40 000 Eltern und Lehrern bleibt der Unterrichtsausfall das Problem Nr. 1 an den Schulen.

Trotz starker Worte: Seit dem Amtsantritt von Senator Böger hat der Unterrichtsausfall nicht abgenommenSusanne Vieth-Entus

Vier Monate nach dem Amtsantritt von Schulsenator Klaus Böger und drei Wochen nach dem großen Sternmarsch von 40 000 Eltern und Lehrern bleibt der Unterrichtsausfall das Problem Nr. 1 an den Schulen. Es sei "blauäugig" gewesen, auf rasche Verbesserung der Situation zu hoffen, räumte gestern eine Organisatorin des Sternmarsches ein. Mit anderen Eltern und Gewerkschaftsvertretern traf sie gestern zum zweiten "Dialog" mit Böger zusammen. Dabei sollte es auch um die Engpässe bei der Lehrerversorgung gehen.

An aktuellen Beispielen für den Unterrichtsausfall mangelt es nicht. Der Krankenstand der Pädagogen ist seit Anhebung der Unterrichtsverpflichtung im Rahmen der Arbeitszeitkonten um rund 50 Prozent gestiegen. Deshalb muss eine Klasse der Weissenseer Heinz-Brandt-Hauptschule diesen Freitag zu Hause verbringen, weil die Lehrererkrankungen nicht mehr durch Vertretungskräfte abgefangen werden können. An der Reinickendorfer Carl-Benz-Realschule ist ein "Notplan" in Kraft getreten, weil fünf Lehrer ausgefallen sind: Einige Fächer werden gar nicht mehr oder nur eingeschränkt unterrichtet. Die achten und neunten Klassen der Weddinger Herbert-Hoover-Realschule mussten monatelang ohne Französisch auskommen. Heute verliert die Schule auch noch ihre einzige ausgebildete Musiklehrerin, denn die wird nach der Referendarsprüfung erstmal in die Arbeitslosigkeit entlassen. Die Schule will ihr symbolträchtig Handschellen anlegen, um gegen den Verlust zu protestieren.

Damit zumindest die Hauptfächer nicht ausfallen, streichen die Schulleiter vor allem Kunst- und Sportstunden. In Physik und Chemie werden Gruppen zusammengelegt, sodass nur noch wenig experimentiert werden kann. In Grundschulen sind die Extrastunden für die Behindertenintegrationsstunden ein beliebter "Steinbruch" für Vertretungsfälle. Aber auch die unter großem Aufwand in Folge der Innenstadtkonferenz bewilligten Zusatzstunden für "Deutsch als Zweitsprache" werden immer öfter zweckentfremdet, um andere Löcher zu stopfen.

Vor allem kleine Schulen können bei Lehrererkrankungen kaum genügend Vertretungsunterricht organisieren. Dies trifft etwa auf die Heinz-Brandt-Hauptschule zu, wo vier von 24 Lehrern krank sind. In dieser Woche würden 35 Stunden ausfallen und weitere 36 - meist fachfremd - vertreten, berichtet Schulleiterin Karla Werkentin. Dies sei angesichts des schwierigen Schülerklientel nicht zu verantworten. "Ich kann ihnen keine geregelte Schule vorleben", bedauert Frau Werkentin, die zur Zeit doppelt so viele Stunden unterrichtet als sie als Schulleiterin müsste. In der Folge könnten die Schüler die Schule gar nicht mehr ernst nehmen und liefen "aus dem Ruder". In einem Brief an die SPD-Fraktion hat Schulleiterin Werkentin denn auch gefragt, was die geplante Arbeitszeiterhöhung bringen soll, die doch nur die Vergreisung der Lehrerschaft vorantreibe.

Wie berichtet, will Schulsenator Böger 1 200 Neueinstellungen umgehen, indem er alle Lehrer eine Stunde mehr arbeiten lässt. Warnungen der Gewerkschaften, dass Mehrarbeit zu einem höheren Krankenstand der ohnehin schon angeschlagenen Lehrer führen werde, hatte er bisher immer als Zweckpessimismus abgetan. Die Krankenstatistik der Innenverwaltung weist allerdings aus, dass der Krankenstand der Lehrerschaft um rund zwei Prozent auf jetzt 6,1 Prozent angestiegen ist, seitdem die Lehrer ein bis zwei Stunden mehr arbeiten müssen. Was nur eine vorübergehende Maßnahme sein, auf Arbeitszeitkonten gut geschrieben und später rückerstattet werden sollte, wird vom Sommer an zur Dauereinrichtung, falls das Abgeordnetenhaus am 14. April das Haushaltssanierungsgesetz samt Arbeitszeiterhöhung beschließt.

Birgit Goßler, eine der Initiatorinnen des großen Sternmarsches, ist enttäuscht. Trotz der "dramatischen Situation" werde weiter gespart, es bewege sich nichts. Aus heutiger Sicht bezeichnet sie es als "blauäugig", dass sie glaubten, mit dem Sternmarsch "Eindruck zu machen". Deshalb hat sie auch Verständnis für die Streikpläne der Lehrer.

Eine Pflichtstunde mehr - Krankenstand um die Hälfte gestiegen

Trotz starker Worte: Seit dem Amtsantritt von Senator Böger hat der Unterrichtsausfall nicht abgenommenWo fällt Unterricht aus, wie klappt es mit der Vertretung von erkrankten Lehrkräften? Wer über Erfahrungen an seiner Schule berichten will, kann heute zwischen 12 und 14 Uhr beim Tagesspiegel unter der Telefonnummer 26009-418 anrufen.

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