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Südwest-Berlinerin. Marie-Anne Raue ist in Kreuzberg Geschäftsführerin des Sternelokals, das sie gemeinsam mit ihrem Ex-Mann Tim Raue zum Erfolg geführt hat. Sie selbst wohnt in Grunewald.

© Mike Wolff

Eine Runde Berlin: Konzentration aufs Stern-Geschäft

Privat getrennt, geschäftlich verbunden: Marie-Anne Raue führt das Kreuzberger „Restaurant Tim Raue“. Zu Hause ist sie nahe Roseneck. Ein Streifzug.

Manchmal muss Marie-Anne Raue auch sonntags ins Restaurant nach Kreuzberg fahren – wenn die Alarmanlage mal wieder angeschlagen hat und keiner weiß, warum. Doch sonst ist sie prinzipienfest, „der Sonntag ist mir heilig!“ Dann widmet sie sich ihrer Terrassenwohnung und deren grüner Umgebung, gleich neben dem Brücke-Museum in Dahlem.

Ein Tag pro Woche relaxen: Mehr ist selten drin im trubeligen Berliner Restaurantbusiness. Marie-Anne Raue hat darin zwar einen Logenplatz gefunden, muss sich ums Geschäft an sich keine Sorgen machen. Aber die rund 40 Mitarbeiter lassen sich nicht nebenher managen, und Arbeit gibt es immer, wenn Gäste aus der halben Welt lange vorher buchen und nichts Geringeres erwarten als einen unvergesslichen Abend im „Restaurant Tim Raue“, das auf der informellen Weltrangliste, der „Pellegrino-Liste“, seit Jahren unter den Top 100 genannt wird. Die Küche hat an einem solchen Erlebnis den Hauptteil zu erledigen, aber ohne perfekten Service kommt davon nichts an.

Das Roseneck heißt nicht nur so, das gibt es tatsächlich

Dieses Thema stellen wir einen Moment zurück, um die private Umgebung der Restaurant-Managerin zu erkunden. Ihr Apartment liegt nicht allzu weit vom Roseneck entfernt, das mit seinen qualitätsorientierten kleinen Geschäften schon immer ein beliebtes Unterzentrum des Berliner Südwestens war, geschätzt auch von der geborenen Südwest-Berlinerin Raue. Ein Roseneck gibt es dort tatsächlich, ein dicht bepflanztes dreieckiges Beet am Straßenrand, das entgegen der Berliner Normalität tatsächlich gepflegt und gewässert wird.

Wir treffen Raue beim Kaffee- schwarz- auf der Straßenterrasse des „Wiener Conditorei-Caffeehauses“, das zumindest tagsüber eindeutig der Mittelpunkt und Balkon dieses Kiezes ist – sofern eine so elegante Nachbarschaft das Wort „Kiez“ überhaupt verdient. Auf der Straße vollzieht sich eine kleine Schau des Luxus und der Moden, man kennt sich, checkt die Labels der Taschen und den Zustand der Hunde ab, hält ein Schwätzchen und nimmt auch mal einen Prosecco weit vor Sonnenuntergang. Marie-Anne Raue bleibt beim Kaffee, genießt die Sonne und muss keinen Gewaltmarsch anleiten, um ihre Favoriten zu zeigen, denn die liegen gleich nebenan. Da ist zum Beispiel die Filiale von Lindner, jenem Berliner Feinkost-Unternehmen, das schon lange gegen den alten Vornamen „Butter-Lindner“ ankämpft – so langsam wird es. Was es an Wurst, Käse und Schinken hier nicht gibt, das hat vielleicht der ebenfalls hochwertig sortierte Edeka-Laden daneben. Noch wichtiger ist ihr aber die Fleischerei Lindow um die Ecke, von Berliner Foodscouts komischerweise noch unbesungen, die Top-Fleischqualitäten aus Süddeutschland führt, das berühmte Schwäbisch-Hällische Schwein und Hohenloher Rind. Mittags werden auch rustikale Gerichte wie Königsberger Klopse zu bescheidenen Preisen angeboten.

Die Qualitäts-Fanatikerin Raue kauft hier vor allem Fleisch für den Grill, „ich grille eigentlich immer“, sagt sie, „sogar Weihnachten“. Und auch für die Restaurants der Umgebung findet sie manch freundliches Wort, für die Traditions-Weinstube Habel zum Beispiel und das große chinesisch-japanische Ding gegenüber, „drinnen nicht schön, aber überraschend gut“. Noch lieber mag sie das „Chalet Suisse“ im Grunewald, das allerdings vom Roseneck ein ganzes Stück entfernt liegt, ideal für einen Gang mit Sherley, der Jack-Russell-Hündin, die sie sich mit Tim Raue, ihrem Ex, einvernehmlich teilt. Kuriosität am Rande: Das „Chalet Suisse“, damals unter sehr anderer Führung, ist exakt jener Ort, an dem Tim Raue, der Kreuzberger Wüterich, den ersten Schritt in Richtung Profikoch ging und schräge, harte Zeiten erlebte.

Zur Selbstständigkeit war es ein weiter Weg

Marie-Anne Raue kann natürlich nicht anders, als ihr Leben und ihren Beruf vor allem über die vielen Jahre mit Tim zu definieren. Zusammen haben beide geschafft, was einem von ihnen allein nie gelungen wäre: Ein Restaurant zur international bekannten Marke aufzubauen. Ihr gemeinsamer Weg führte über „Rosenbaum“, „Kaiserstuben“, „E.T.A. Hoffmann“, das Swissotel und die Jagdfeld-Restaurants „Ma“ und „Uma“ erst spät in die Selbstständigkeit, „Er wollte sich auf gar keinen Fall selbstständig machen“. Doch sie, ohnehin über die Jahre fürs Finanzielle zuständig und bis heute geschäftsführende Alleingesellschafterin des Restaurants, stellte ein Finanzierungskonzept auf die Beine, das anfangs durchaus wackelten. Denn Raue war zwar in Berlin eine bekannte Größe, aber am Michelin-Stern, mit einer Ausnahme 2007, immer wieder vorbeigeschrammt.

Doch dann kam irgendwie alles zusammen. Er nutzte die Zeit bis zur Neueröffnung, sich in „Deutschlands Meisterkoch“ als TV-Talent zu etablieren, und der Michelin rückte endlich den ersten, wenig später den zweiten Stern heraus, der den Weg zu internationaler Aufmerksamkeit öffnete. Schließlich folgte 2014 der Aufstieg in die „50-Best-Liste“, der praktisch sofort dazu führte, dass kein Platz im Restaurant mehr frei blieb. Der Ehe schadete das aber offenbar, und als beide 2016 die Trennung nach 22 gemeinsamen Jahren verkündeten, war der kritischste Punkt beider Karrieren schon überwunden: Sie hatten sich geeinigt im klaren Bewusstsein, dass ein zünftiger Rosenkrieg auch vom Geschäft nichts übrig gelassen hätte. Sogar über Sherley.

Das größte Problem ist der Personalmangel

Seither fungiert sie wie von Anfang an als Geschäftsführerin und Gastgeberin, hat aber nicht mit seinen anderen Projekten zu tun, für die er nur Namen und Know-how gibt, die Kreuzfahrt-Gastronomie, die Colette-Restaurants und, ab September, die Potsdamer Villa Kellermann. Dort haben andere das Sagen, aber Marie-Anne Raue benötigt auch keinesfalls zusätzliche Arbeit. Das größte Problem im Moment ist der durch das Mindestlohn-Regelwerk akut verschärfte Personalmangel im Service, „ich könnte auf der Stelle drei, vier Leute einstellen“, sagt sie, „aber es gibt keine.“ Deshalb mussten sie sogar kürzlich den Lunch von Dienstag bis Donnerstag abschaffen, denn da hätte niemand mehr die Teller an den Platz bringen und die Gläser auffüllen können. Und Ausdünnung mit Aushilfen nach dem Motto „Geht schon irgendwie gut“ ist in dieser lichten Höhe der Kochkunst schlicht nicht möglich.

Ach, Kunst: Darin waren sich beide immer einig, als sie sich beispielsweise zur Eröffnung das „Italienische Stillleben“ des Berliner Malers Harald Hermann leisteten – gestapelte Müllsäcke vor Müllcontainern. Das polarisierte genauso wie es das neue Streetart-Bild an der Wand gegenüber. Aber die geistigen Impulse, die Kunst ebenso geben kann wie herausragende Küche, sind ihnen wichtig. Deshalb ist die Nähe des Brücke- Museums für Marie-Anne Raue auch kein Statussymbol, sondern ein Teil ihres Lebens.

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