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Die Currywurst - nicht Jedermanns Sache

© ddp

Eine Südafrikanerin zieht Bilanz: In Berlin ist alles möglich

Berliner seien nicht gerade die freundlichsten Menschen, warnte man unsere Autorin Leila Samodien. Nach fünf Wochen Kreuzberg, weiß die junge Südafrikanerin ganz Anderes zu berichten.

Es gibt gewisse Phänomene in Deutschland, die ich wahrscheinlich nie verstehen werde. Warum an Sonntagen nahezu alle Läden geschlossen haben zum Beispiel, die weit verbreitete Vorliebe für Sprudelwasser, dass Fahrradfahrer auch dann klingeln, wenn ihnen keiner im Weg steht oder, rätselhafter noch: Die Currywurst.

All diesen wundersamen Dingen und Angewohnheiten begegnete ich bereits in meinen ersten Wochen in Deutschland, die ich in Bonn verbrachte, und als nicht weniger sonderbar erlebte ich sie später in Frankfurt, München, Hamburg und Berlin.

In Berlin, wo ich den Großteil meiner Reise verbrachte, erinnerte mich zunächst einiges an meine Heimat, Kapstadt. Die vielen, höchst unterschiedlichen Menschen vor allem. Nichtsdestotrotz käme ich nie dazu, die beiden Städte miteinander zu vergleichen, zu grundverschieden sind sie, die Aufzählung der Unterschiede nähme kein Ende. Stattdessen möchte ich hier einfach einige Erlebnisse schildern, die mein Deutschlandbild geprägt haben. Durchweg positiver Art waren sie, obwohl, nein! Da war diese Dame im Supermarkt, die ich wegen des Wiegens der Tomaten um Rat fragte und die daraufhin nur ein Grunzen verlauten ließ. Und dann dieser Autofahrer, der mich offenkundig mit übelsten Schimpfwörtern bedachte, weil ich mich auf der Straße befand, obwohl das rote Männchen leuchtete. Zu meiner Verteidigung: Ich bin sicher, dass die Ampel grün war, als ich die Straße betrat… Doch das ist nicht der Punkt. Und wie auch immer es gewesen ist, ich werde Nichtigkeiten dieser Art im Folgenden beiseite lassen. Denn von ihnen abgesehen habe ich meine Zeit in Deutschland so genossen, dass die wenigen unerfreulichen Momente das Gesamtbild kaum trüben.

Unsere Autorin findet: Berlins Fahrradfahrer sind eine Spezies für sich.
Unsere Autorin findet: Berlins Fahrradfahrer sind eine Spezies für sich.

© dpa

Bevor ich nach Berlin kam, hatte ich gehört, dass Berliner nicht gerade die freundlichsten Menschen seien – sogar Berliner sagten mir das. Die Erfahrungen, die ich gemacht habe, konnten dieses Vorurteil jedoch nicht bestätigen. Ich erlebte die Berliner als ausgesprochen freundlich und offen. Es ist nicht so, dass sich irgendwer angeschickt hätte, mich zum Tee einzuladen, aber die Menschen waren stets ansprechbar und bemüht, mir weiterzuhelfen.

Eines Tages etwa irrte ich mit einer Freundin aus Kapstadt durch Prenzlauer Berg, orientierungslos wie zwei Maulwürfe in einem Kaninchenloch. Bevor wir dazu kamen, jemanden nach dem Weg zu fragen, näherte sich uns ein Fahrradfahrer mit solchen Tempo, dass wir dachten, er wolle uns überfahren. Stattdessen bremste er dicht vor uns ab - und fragte höflich, ob wir Hilfe bräuchten.

Wo wir schon über Fahrräder reden: Ich muss sagen, die haben mir in Berlin so manche unruhige Minute beschert. Nicht die enorme Anzahl an Fahrradfahrern überraschte mich, wohl aber, dass sie keine Helme trugen. In Kapstadt findet alljährlich ein Fahrradrennen statt, an dem um die 35 000 Menschen teilnehmen. Jedes Jahr verunglücken zwei bis drei Menschen tödlich, während sie auf den unübersichtlichen Straßen Kapstadts für das Großereignis trainieren. Entsprechend entsetzt war ich, als ich die Fahrradfahrerinnen hierzulande unbekümmert, mit kurzen Röcken und im Wind flatternden Haaren an mir vorbeiradeln sah, allzeit ohne Helm.

Über die Klingeln möchte ich nicht viele Worte verlieren. Nur so viel: Anfangs fand ich das ungewohnte, helle „Rrriiinng“ direkt süß, mit dem sich das Vorbeirauschen eines Fahrrades ankündigte. Schon bald aber, nachdem ich mich ein, zwei Mal zu dicht an den Radweg herangetraut hatte, war der Reiz des Neuen verflogen.

In München beobachtete ich eines Nachts besorgt, wie eine kleine Gruppe von Fahrradfahrern von zwei Männern angehalten wurde. „Nichts Ungewöhnliches“, sagte ein Kumpel, „die prüfen lediglich, ob die Lichter ordnungsgemäß vorhanden sind. Wenn nicht, müssen sie ein Bußgeld zahlen.“ Undenkbar wäre so was in Kapstadt, wo Fahrradfahrer zwar brav ihre Helme tragen, ansonsten aber keinerlei Anstalten machen, sich an irgendwelche Regeln zu halten, an die Straßenverkehrsordnung zuallerletzt.

Ja, so sind die Berliner: Das Fahrrad immer dabei und niemals overdressed.
Ja, so sind die Berliner: Das Fahrrad immer dabei und niemals overdressed.

© dpa

Da ich, seit ich zehn Jahre alt war, nicht mehr auf einem Fahrrad gesessen habe, verzichtete ich lieber auf Bußgelder und Kopfverletzungen und hielt mich an den öffentlichen Nahverkehr.

Apropos: Es gab viele Diskussionen über die Deutsche Bahn und die Berliner Verkehrsbetriebe dieser Tage. Mögen diese auch nicht unberechtigt sein, kann ich doch zur Relativierung beitragen: Das hiesige System ist definitiv verlässlicher als die Kapstädtische „Metrorail“, denn in Deutschland fahren Züge immerhin einigermaßen pünktlich, und, was noch wichtiger ist: in kurzen Abständen. Mit „Metrorail“ kann es leicht passieren, dass ein Berufspendler eine halbe Stunde auf seine Zugverbindung warten muss, selbst auf stark frequentierten Strecken. Außerdem ist die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel in Berlin beträchtlich sicherer als in Kapstadt. Zwar gelten unsere Minibusse, Busse und Züge inzwischen als einigermaßen betriebssicher, aber niemand kann garantieren, dass das Transportmittel nicht im nächsten Moment in einen Unfall verwickelt wird oder, als Ziel eines Anschlages, in Flammen aufgeht.

Als wohltuend empfand ich es zudem, mal eine Weile nicht mit dem Bus liegen zu bleiben oder die Umwelt mit meinem Sprit fressenden Auto zu verpesten. Überhaupt habe ich festgestellt: Deutsche, Berliner eingeschlossen, sind deutlich umweltbewusster als Südafrikaner. Deren Alltag nämlich wird von Themen wie Wohnungsnot und Aids bestimmt, und nur sehr wenige Menschen beschäftigen sich obendrein mit Dingen wie Recycling. So habe ich also erst in Berlin gelernt, meinen Müll zu trennen - unter den wachsamen Augen des Hausmeisters.

Was ich an Berlin außerdem zu schätzen lernte, sind seine weiten, grünen Flächen. Als wir eines Tages die Schönhauser Allee entlang schlenderten, sagte meine Einfamilienhäuschen gewohnte, Kapstädter Freundin beim Blick auf die hohen Mehrfamilienhäuser: „Ich könnte niemals hier leben. Ich liebe meinen Garten zu sehr.“ Tatsächlich aber hat, wer im Innenstadtbereich wohnt, immer einen Park, einen Kanal oder zumindest eine Grünfläche in der Nähe und das finde ich wunderbar.

Ich habe während meiner Berliner Zeit in Kreuzberg gewohnt und das Viertel sehr lieb gewonnen. Die unterschiedlichsten Kulturen, Religionen und Lebenswege treffen dort in wunderbarer Weise zusammen. Wann immer ich morgens auf die Straße trat, mir begegneten die unterschiedlichsten Menschen. Ich sah muslimische Frauen auf dem Weg zur Arbeit, grölende Männer, die nach einer durchzechten Nacht aus einer der zahlreichen Bars taumelten und junge Paare, die ihre Kinder mit dem Fahrrad in den Kindergarten brachten.

In Berlin, das merkte ich schnell, ist alles möglich. Nie werde vergessen, wie mir eines Abends in einem Kapstädter Club der Eintritt verweigert wurde, weil ich keine hohen Schuhe trug: „No heels, no entry!“ Rückblickend ärgert mich dieses Verhalten besonders, denn nun weiß ich: Weit, weit weg im fernen Berlin tragen Menschen flache Schuhe auf den hippsten Parties, produzieren beim Karaoke Töne, die nah daran sind, das Gebäude zum Einsturz zu bringen und veranstalten bei der kleinsten Ungerechtigkeit Demonstrationen, von denen manche eher anmuten wie Rockkonzerte. Letztlich tanzt dort jeder nach seiner eigenen Pfeife – und braucht dazu weder Highheels noch teure Designerklamotten.

Aus dem Englischen übersetzt von Maris Hubschmid

Leila Samodien

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