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Berlin: „Eine Trendwende bei der Jugendgewalt“

Polizeipräsident Glietsch sieht Erfolge bei Serientätern und will keine Bundeswehr zum Schutz der WM

Ein Jugendlicher ersticht im Bus einen Abiturienten, ein 16-jähriger Serientäter tötet einen Jungen – wird das Problem der jugendlichen Gewalttäter immer größer?

Nein, der Eindruck ist falsch. Wir haben die Jugendkriminalität erfolgreich zurückgedrängt, auch durch die enge Zusammenarbeit mit der Justiz und den Jugendämtern.

Woran messen Sie das?

Es gibt eine Trendwende. Erstmals seit 1998 geht die Gewaltkriminalität zurück. Das betrifft insbesondere die Rohheitsdelikte bei der Jugendgewaltkriminalität. Unser Konzept, die polizeiliche Betreuung von Intensivtätern zu zentralisieren, so dass für jeden jugendlichen Gewalttäter immer derselbe Sachbearbeiter zuständig ist, hat sich bewährt. Dadurch können wir konsequent gegen diese Täter vorgehen. Die Zahl der Personen, die wir auf diese Art und Weise betreuen, ist kontinuierlich gestiegen. Damit haben wir zwei Wirkungen erzielt. Zum einen spricht es sich herum, dass man bei wiederholten Straftaten schnell im besonderen Blickfeld der Polizei steht. Zum anderen haben wir mehr Haftbefehle erwirkt, so dass viele dieser Intensivtäter keine Straftaten mehr begehen können.

Gilt die bessere Zusammenarbeit mit der Justiz auch für die Ermittlungsrichter?

Ich habe keinen Grund, Richterschelte zu betreiben. Auch die Richterschaft hat das Problem erkannt. Im Einzelfall wirkt eine frühe und konsequente Bestrafung besser, als zehn mal mit dem Finger zu drohen und darauf zu hoffen, dass der Angeklagte seine Versprechungen einhält. Da hat sich etwas geändert in der Justiz, und das wirkt sich aus.

Hat sich die gesellschaftliche Wahrnehmung geändert?

Den Eindruck habe ich. Bei der Gewaltkriminalität sind alle gefordert, Polizei und Jugendämter, das Elternhaus, der Kindergarten, die Schule bis hin zur Politik. Die politischen Entscheidungsträger sind zuerst gefordert, wenn es um die Frage geht: Was müssen wir außerhalb von Polizei und Justiz tun, damit Jugendkriminalität dauerhaft zurückgeht.

Die Polizei hat gute Erfahrungen mit den operativen Gruppen gegen Jugendgewalt gemacht. Wird diese Arbeit ausgebaut?

Es gibt viele polizeiliche Beiträge, bei der Strafverfolgung ebenso wie bei der Prävention. Auch das Intensivtäterkonzept. Man muss beides konsequent machen. Das tun wir seit einigen Jahren. Aber es darf nicht nur die Polizei aktiv sein. Die Zusammenarbeit mit den Jugendämtern hat sich gerade im Hinblick auf die Intensivtäter sehr verbessert. Die verbesserte Zusammenarbeit kostet auch kein Geld. Quartiersmanagement kostet Geld. Aber das ist gut angelegt. Im Neuköllner Rollbergviertel gibt es seit 1998 ein Quartiersmanagement. Die Zusammenarbeit mit der Polizei ist fantastisch – und die Kriminalität dort ist um 30 Prozent gesunken. Das belegt, wie man Wirkung erzielen kann, und dass man dafür auch etwas investieren muss. Die Polizei alleine kann solche Erfolge nicht erzielen.

Braucht es mehr Druck auf die Familien?

Sicher. Manchmal habe ich aber den Eindruck, dass Politik und Behörden versuchen, den Schwarzen Peter den Eltern zuzuschieben. Ein gewisser Druck auf die Eltern ist notwendig – aber es ist ebenso unbestreitbar, dass Polizei und Behörden aktiver mit dem Problem umgehen müssen. Kinder aus Migrantenfamilien sind, was die Bildung angeht, viel zu lange vernachlässigt worden.

Wie sieht die Kriminalitätsstatistik für 2005 aus? Wo gibt es Erfolge?

Außer bei den Vermögensdelikten gibt es in allen anderen Deliktfeldern Rückgänge. Die Zunahme bei Vermögensdelikten kommt unter anderem durch die wachsende Internetkriminalität zustande.

Ist die Polizei da richtig aufgestellt?

Wir können nicht ständig mehr Personal zur Bekämpfung der Betrugskriminalität einsetzen. Erst mal sollten die Möglichkeiten der Prävention ausgeschöpft werden. Die Banken müssen dafür sorgen, dass es im Verkehr mit ihnen nicht möglich ist, Geld abzuzweigen. Wer Internetauktionen durchführt, muss für mehr Sicherheit sorgen. Es darf nicht so leicht sein, sich zu bereichern und zwar auf eine Art und Weise, die es uns kaum möglich macht, den Täter zu ermitteln. Da gibt es noch viel zu tun. Die Sicherheit von Bankautomaten ist ja auch verbessert worden.

Die Polizei muss während der Fußball-WM nicht nur das Olympiastadion schützen, Trainingsplätze, WM-Hotels, die Fanmeile und natürlich mehr als 250 Botschaftsgebäude. Sind Sie froh, dass der Bund 2000 Soldaten schickt?

Natürlich ist die Polizei froh darüber. Logistische und technische Amtshilfe ist rechtlich unproblematisch und stets willkommen. Die Soldaten sind eine Bereicherung im Katastrophenschutz oder Sanitätsdienst, sie sind aber keine Entlastung für die Arbeit der Polizei.

Hat Herr Beckstein Recht, wenn er Soldaten auch zum Objektschutz einsetzen will?

Nein, das halte ich für überflüssig. Ich denke, dass die Polizei in Deutschland und somit auch in Berlin sehr wohl in der Lage ist, ihre Aufgaben selbst wahrzunehmen. Wir bereiten uns seit Jahren auf die Fußball-WM vor und werden in den vier Wochen alles, was wir an Personal haben, einsetzen. Deshalb haben wir unter anderem eine Urlaubssperre verhängt.

Beim 1. Mai in Berlin müssen auch tausende Polizisten aus dem Bundesgebiet anreisen. Soldaten hätten helfen können.

Wir haben in Berlin fast 17 000 Polizeibeamte und annähernd 2000 weitere Kräfte für den Gefangenenbewachungsdienst und den Objektschutz. Die sind im Gegensatz zu Soldaten für ihre polizeiliche Arbeit ausgebildet. Wir werden die WM grundsätzlich allein meistern. Aber wenn wir Unterstützung benötigen, werden wir diese ganz sicher bekommen. In Bundesländern wie Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen findet schließlich kein WM-Spiel statt.

Aber das wird nicht reichen. Sie müssen ja auch mit mehr Kriminalität rechnen.

Wir wissen, dass eine Großveranstaltung wie die WM Kriminelle anzieht. Um wirksam gegen den Taschendiebstahl vorzugehen, haben wir eine Ermittlungsgruppe eingerichtet, die bereits sehr erfolgreich arbeitet. Wir werden auch mit mehr Versuchen zu tun haben, Falschgeld in Umlauf zu bringen. Und natürlich wird uns Produktpiraterie verstärkt beschäftigen. Über den Hooliganismus müssen wir gar nicht erst reden. Das Gewaltpotenzial wird zur WM ansteigen. Aber ich bin zuversichtlich, weil wir gut vorbereitet sind.

Deutsche und polnische Hooligans haben sich kürzlich im Wald geprügelt.

Hooligans sind die größte Gefahr während der WM. Deshalb kümmern sich bereits jetzt 130 Beamte um diese Szene, die eng verflochten ist mit der Türsteher-Kriminalität. Diese 130 Kolleginnen und Kollegen haben nicht nur die Berliner Gewalttäter im Visier, sondern alle, die in unsere Stadt reisen wollen. Wir wissen, dass die Szene in Europa die WM mitgestalten will. Deshalb arbeiten wir bundesweit und international eng zusammen.

Bei der EM in Portugal gingen die Angriffe von einheimischen Jugendlichen aus. Und beim 1. Mai hat man in Berlin gesehen, wie schnell Jugendliche zu Gewalt neigen.

Ich erwarte nicht, dass sich Vergleichbares in Berlin wiederholt. Auch der 1. Mai war 2005 in Berlin nicht mehr der Tag der Jugendgewalt. Ich denke eher, dass wir uns auf die Berliner Hooligans vorbereiten müssen. Die können wir nicht an der Anreise hindern, weil sie hier wohnen. Wenn uns Erkenntnisse vorliegen, dass sich ein Berliner Hooligan an gewalttätigen Ausschreitungen beteiligen will, werden wir Maßnahmen treffen. Von der Gefährderansprache über das Aufenthaltsverbot bis zur Gewahrsamsnahme.

Auch Staatsgäste müssen geschützt und eskortiert werden. Vor fünf Tagen hat es ja nicht mal der Bus der Bayern rechtzeitig ins Olympiastadion geschafft.

Am Verkehrskonzept wird noch gearbeitet. Richtig ist, dass auf uns mehr Arbeit zukommen wird als z.B. bei jeder Verteidigungsministerkonferenz. Wir müssen beim Finale sehr viele Staatsgäste schützen und zum Stadion eskortieren. Dabei dürfen sie natürlich nicht im Stau stehen. Darüber hinaus gibt es Mannschaften, die besonders betreut werden müssen.

Staatsgäste könnten Sie über eine WM-Spur zum Stadion bringen.

Ich halte es für richtig, dass es die Spur nicht geben soll. Andere Verkehrsteilnehmer würden wochenlang darunter leiden. Das Freihalten einer solchen Spur wäre auch kaum möglich, Eine erneute Diskussion hätte nur Sinn, wenn auf andere Weise ein geordneter Veranstaltungsbetrieb nicht gewährleistet werden könnte. Das sehe ich aber nicht.

Das Interview führten Werner van Bebber, Andre Görke und Gerd Nowakowski

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