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Berlin: Eine Warnung – auch für Verdi

Die Gewerkschaften riefen zu stadtweiten Streiks auf. Doch in Ämtern und Kitas blieb die Aktion fast unbemerkt

Die leeren Kassen, die Wirtschaftsflaute und die Arbeitslosigkeit machen es den Gewerkschaften offenbar schwer, ihre Mitglieder für den Arbeitskampf zu mobilisieren. Ein Zeichen wollten sie am Montag mit Warnstreiks setzen – es blieb weitgehend unbemerkt. Ob im Arbeitsamt, bei der Stadtreinigung oder in den Kitas, fast überall hieß es: Business as usual.

Arbeitsamt Südwest, zweiter Stock, 12.35 Uhr. Kopfschüttelnd zeigt der Mann vom Kundenservice zum Fenster, unter dem einige seiner Kollegen in weißen Plastikleibchen und Trillerpfeifen für eine Gehaltserhöhung von „deutlich über drei Prozent“ kämpfen. „Unter den gegebenen Umständen fast eine Frechheit“, sagt er. Die Luft auf den Gängen ist stickig, an jedem Schalter windet sich eine Schlange Wartender. In den Sitzecken lesen Arbeitslose Zeitung, andere schauen stumm an die Wand. Zwei bis drei Stunden warte hier auch ohne Streik jeder, sagt der Mann vom Kundenservice. Er persönlich könne angesichts der leeren Kassen mit einer Nullrunde leben und halte von dem Warnstreik nichts. „Mir ist es wichtiger, dass ich die Leute vom Flur kriege.“

Offenbar denken in der Tempelhofer Wolframstraße viele ähnlich: Rund 400 Angestellte hat Verdi aufgerufen, an diesem Montag kollektiv zwischen 12 und 13 Uhr Pause zu machen – auf dass für eine Stunde nichts mehr gehe. Gekommen sind rund 30, was die trotz Handschuhen und Mützen frierenden Gewerkschafter nicht gerade zufrieden stimmt. „Die haben alle die Schere im Kopf“, sagt einer der Arbeitskämpfer. Viele seiner Kollegen würde die Angst vor Repressalien und Arbeitslosigkeit vom Warnstreik fern halten. Sind das für ihn jetzt alles Streikbrecher? „Nee, nee“, winkt der Demonstrant ab. „Man hat ja auch Verständnis.“

Das kann man von einigen, aber bei weitem nicht allen Kunden vor dem Arbeitsamt behaupten. „Ihr habt es gerade nötig!“, höhnt ein Arbeitsloser, als ihm vor dem Eingang ein Flugblatt in die Hand gedrückt wird. Dass es irgendwie komisch aussähe, wenn gerade die Arbeitslosen unter dem Arbeitskampf zu leiden hätten, findet auch eine Frau am Counter. „Denen geht es doch viel schlechter als uns“, sagt sie, nur kurz von ihren Akten aufschauend. Sie habe außerdem acht Stunden täglich „Publikumsverkehr“ abzuarbeiten und zum Streiken keine Zeit. Steht sie denn hinter der Forderung von Verdi & Co? Lächelnd seufzt die Counter-Dame. „Klar, mehr Geld brauchen wir doch alle!“

Man kann an diesem Vormittag von Zimmer zu Zimmer ziehen, die Antworten sind immer die gleichen: Keine Zeit, total im Stress, lauter Termine. Warnstreik im Amt – und keiner macht mit. „Damit bin ich natürlich nicht zufrieden“, sagt Marie-Luise Meier, Sprecherin der Betriebsgruppe. Dass sie bei dieser übersichtlichen Gruppe ihre Ansprache auch ohne Lautsprecher bewältigt hätte, nimmt Marie-Luise Meier vor allem ihren Mitstreitern übel. „Für Gewerkschaftsmitglieder sollte die Aktion doch so etwas wie ein Pflichttermin sein.“

Wo noch gestreikt wurde:

Vier Stunden sollte in den etwa 850 städtischen Kitas die Arbeit niedergelegt werden. 5000 Erzieher machten mit – sagt die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), doch Stichproben beweisen: Viele Kitas arbeiteten wie immer. Im „Prenzlberger Schwalbennest“ sprachen sich 80 Prozent der Belegschaft gegen einen Streik aus. Wie auch in der Kreuzberger Solmstraße. „Weil wir hier mehr arbeitslose als arbeitende Eltern haben“, sagt eine Erzieherin. Eine Kita am Teltower Damm in Zehlendorf blieb zwar geschlossen – dafür gingen die Erzieher mit den Kindern ins Theater.

Die BSR leerte die Mülltonnen Montag erst ab acht Uhr, auch die Umladestation an der Gradestraße blieb so lange geschlossen. „Beeinträchtigungen für die Bevölkerung hat es nicht gegeben“, sagt BSR–Sprecher Bernd Müller. Bei einer BSR-Kundgebung an der Ringbahnstraße zählte die Polizei 150 Demonstranten. 130 Arbeitskämpfer vom TU-Studentenwerk wurden am Vormittag vor der Mensa gesichtet. Am Morgen waren Verdi , GEW und die Gewerkschaft der Polizei gemeinsam zum Roten Rathaus gezogen. Rund 3000 Demonstranten trugen Plakate mit Aufschriften wie „Wer schweigt, hat schon verloren“. Verdi zog am Abend eine positive Bilanz, da es gelungen sei, „ein Zeichen zu setzen“. Innensenator Ehrhart Körting (SPD) kritisierte den Warnstreik angesichts der leeren Kassen als „unverantwortlich“.

Wo nicht gestreikt wurde:

Ursprünglich sollte auch am Walther-Schreiber-Platz und vor dem SEZ gestreikt werden. Die Aktionen wurden aber „wetterbedingt“ abgesagt. Man hatte Angst vorm Blitzeis.

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