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Berlin: Eine Zeitreise durchs Backsteinparadies - Tagesspiegel-Leser auf Entdeckungstour

Auf diesem Weg ging Horst Laurisch jeden Tag zur Arbeit - 42 Jahre lang. Frühmorgens bog er in die Rotherstraße ein, zusammen mit hunderten Arbeitern des volkseigenen Glühlampenwerkes "Narva" an der Stralauer Allee in Friedrichshain.

Auf diesem Weg ging Horst Laurisch jeden Tag zur Arbeit - 42 Jahre lang. Frühmorgens bog er in die Rotherstraße ein, zusammen mit hunderten Arbeitern des volkseigenen Glühlampenwerkes "Narva" an der Stralauer Allee in Friedrichshain. Schwarzgrau stiegen die Mauern der Fabrikgebäude an beiden Seiten der Werksstraße auf, verziert mit Backsteinornamenten. Aber der Glasapparatebläser Horst Laurisch nahm diesen Schmuck damals im Alltag kaum wahr, zumal Staub aus Jahrzehnten den rötlichen Klinker bedeckte.

Erst vor wenigen Tagen hat der heute 66-Jährige die Schönheit seines früheren Arbeitsplatzes so richtig entdeckt - acht Jahre, nachdem bei Narva die letzten Lichter ausgingen. Gemeinsam mit rund 50 weiteren Tagesspiegel-Lesern nahm er im Rahmen unserer Serie "Berlins Geheime Orte" an einer Führung durch die einstigen Werksgebäude teil, spazierte über die Rotherstraße und erlebte den Wandel Berlins von der Industrie- zur Dienstleistungsmetropole.

Denn inzwischen wurden die Fassaden des Fabrikensembles originalgetreu restauriert. Dahinter sind aus Werkshallen moderne Bürolofts geworden, mehr als eine Milliarde Mark hat die "HVB Projekt", eine Immobilientochter der HypoVereinsbank, dafür aufgewendet. Firmen aus kreativen Branchen ziehen ein, während die Handwerker in den Endspurt gehen. Das 1906 bis 1914 an der Oberbaum-Brücke erbaute Glühlampenwerk des Osram-Konzernes, von der DDR unter dem Markenzeichen "Narva" weitergeführt, hat die Zukunft im alten Gewand wiedergewonnen und bekam einen neuen Namen: Oberbaum-City.

Eine Klinkerstadt mit fünf Gebäudekomplexen und einem spektakulären Blickfang: Dem einstigen Osram-Hochhaus, über dessen historischen Zinnen ein moderner Bürowürfel zu schweben scheint. Tatsächlich haben ihn die Architekten auf eine raffinierte Tragekonstruktion gesetzt und den Backstein-Turm damit gekrönt. Sechzig Meter ist das Haus nun hoch, 15 Stockwerke steigen die Besucher empor und gewinnen Ausblicke, die sie eine Menge Filme kosten.

Rundherum sind diese neuen Büros verglast. "Traumarbeitsplätze", ruft ein Leser und ist ein wenig neidisch auf die künftigen Mieter, die sich am Schreibtisch wie in der Helikopterkanzel fühlen können und sich über keine Klimaanlage ärgern müssen. Ihre Räume werden im Sommer auf natürliche Weise gekühlt. Der Bürowürfel hat eine doppelte Glashülle. Seine äußere Verglasung bleibt geschlossen, doch innen lassen sich die Fenster öffnen - durch den Zwischenraum zieht abends kühle Luft in die Büros.

Mehrere Firmen sind in der Oberbaum-City schon heimisch geworden, zum Beispiel das Internationale Design Zentrum (IDZ). Es residiert an der Rotherstraße 16 unter kathedralenhaftem Dachgebälk und lädt unsere Leser zur Abschlussrunde ein. Der einstige Glasbläser Horst Laurisch hat hier gearbeitet und erkennt die Räume nun kaum wieder: "Hier war doch vieles heruntergekommen."Übrigens: Unsere Geheimnisserie ist als Buch erschienen. 27 Orte werden vorgestellt, die Sie nun auch alleine entdecken können (Geheime Orte, Nicolai, 19,80).

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