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Berlin: Einer nimmt Maß

Hartmut Bäumer ist Verwaltungsreformer. Er weiß, was Landesbehörden zur effektiven Arbeit fehlt: Führungskraft und große Ziele

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Hartmut Bäumer hat eine Idee: „Wie wäre es, wenn der Berliner Senat in alle Bundesländer Botschafter der Hauptstadt schickt?“ Leute, die dort gute Kontakte haben und pflegen, die die Vorzüge Berlins vermitteln und dem teilweise schlechten Image entgegenwirken. „Individuelle Ansprache ist doch viel effektiver als Hochglanzbroschüren.“

Der Mann, der das vorschlägt, hat Berlin lange Zeit auch nur von außen gekannt. In seinem ersten Leben war Bäumer Richter. In Hessen, an einem Arbeitsgericht, dann nahm er drei Jahre Auszeit, um sich als Hausmann in München um die Kinder zu kümmern. Aber weil Bayern den Juristen nicht als Richter übernahm, stieg er 1986 in die Politik ein – als Grünen-Fraktionschef im Landtag. Damals mit Vollbart. Dem bayerischen Ministerpräsidenten Franz-Joseph Strauß hatte Bäumer verstrahltes Heu überreicht,um gegen die Atompolitik zu protestieren. Das waren Zeiten!

Nach einer Wahlperiode ging es zurück nach Hessen. Bäumer wurde Regierungspräsident in Gießen – und dort fand er sein Thema: Die Reform der öffentlichen Institutionen. Sein Regierungspräsidium war das Erste, das den renommierten Speyer-Preis erhielt, sozusagen den Oscar der Verwaltungswissenschaften. Bäumers Fazit heute, auch mit kritischem Blick auf die Berliner Behörden: „Wenn man in der Verwaltung was verändern will, ist Führung gefragt. Die Spitze der Verwaltung muss sagen, was sie will und die Umsetzung bis ins Detail begleiten.“ Alles andere führe nicht zu realen Veränderungen.

Zum Beispiel die Schulen, die in Berlin mehr Eigenverantwortung übernehmen sollen: „Es reicht nicht aus, wenn Schulleiter und Schulräte sagen, das machen wir schon irgendwie, solange dezentrale Entscheidungsbefugnisse, aber auch Management- und Sozialkompetenz fehlen.“ Bäumer, 58, hat zwar selbst keine Kinder mehr in der Schule – aber er ist Lesepate.

Echte Führungspersönlichkeiten, sagt der Verwaltungsreformer, seien angesichts der Beförderungskriterien im öffentlichen Dienst eher ein Zufallsprodukt. Aber der Mut, klare, auch unliebsame Entscheidungen zu treffen und zu verantworten, sei die höchste Tugend vom Senator bis zum Referatsleiter. Und stärke die Motivation der Mitarbeiter. Bäumer hat noch eine Idee: Der Berliner Senat solle sich das Ziel setzen, die bürger- und unternehmensfreundlichste Stadt der Republik werden. „Nur wer sich große Ziele setze, kann viel bewegen.“ Er selbst entschied sich vor ein paar Jahren, seine bunten Erfahrungen in Justiz, Parlament und Verwaltung zu ergänzen, indem er eine eigene Firma gründete. Die „Bridges Consulting Public Affairs & Management GmbH“. Seit 2001 ansässig in Berlin. Das war ein Sprung ins kalte Wasser. „Im kleinen Laden meines Vaters auf dem Lande habe ich oft ausgeholfen, in der Privatwirtschaft war ich sonst nie.“ Bridges macht Politikberatung und hilft vielen Landes- und Kommunalbehörden, aber auch kommerziellen Unternehmen, sich zukunftsfähig zu organisieren.

Zu den Kunden zählen beispielsweise die Stadt Stuttgart, die Verbraucherzentrale/Bundesverband (Länder-Ranking) oder das Land Hessen. Für die Industrie- und Handelskammer Berlin hat Bäumer ein Konzept für die Modernisierung der Bezirksverwaltung erarbeitet. Er war Mitglied in der Enquete-Kommission des Abgeordnetenhauses „Eine Zukunft für Berlin“, die das Verwaltungshandeln in Berlin schonungslos analysierte und Verbesserungsvorschläge machte. Schon 2001 saß Bäumer in der Kommission „Zukunft der öffentlichen Verwaltung“ der nordrhein-westfälischen Landesregierung. Das Credo seiner Beratungsfirma ist ein Zitat von George Bernhard Shaw: „Der einzige Mensch, der sich vernünftig benimmt, ist mein Schneider. Er nimmt jedes Mal neu Maß, während alle anderen immer die alten Maßstäbe anlegen.“

Berlin habe, findet Bäumer, seit den neunziger Jahren brauchbare Verwaltungsreform-Gesetze. Es gebe wohl kein Erkenntnis-, aber noch immer ein Umsetzungsproblem. „Ich würde einen Staatssekretär einsetzen, der allein für die Modernisierung der Verwaltung zuständig ist, der ein Vortragsrecht beim Regierenden Bürgermeister hat und Leute zurückpfeifen kann, die sich nicht an Reformkonzepte halten.“ Eine kleine, wendige Taskforce solle die alltäglichen Absurditäten der Behördenarbeit bekämpfen.

Ein klares Zeitmanagement sei wichtig, sagt Bäumer. Jeder Unternehmer und Bürger müsse wissen, wann er in seiner Sache mit einer Entscheidung rechnen könne. Klare Zuständigkeiten müsse es geben. Manchmal fehle den Bezirken die „harte Hand“ des Senats. Zum Beispiel wenn sie sich nicht auf einheitliche Verfahrens- und Ablaufstrukturen einigen könnten. Umgekehrt sei es verrückt, wenn der Senat eine Windrad-Ansiedlung in einem städtischen Autobahndreieck rückgängig mache, weil die obere Naturschutzbehörde den Schutz eines Rotmilan-Pärchens anders bewerte als die untere. Erst vor ein paar Tagen hat der Senat seinen Beschluss korrigiert.

Die Bürger- und Ordnungsämter in Berlin findet Bäumer gut. Manche Internetauftritte müssten benutzerfreundlicher werden. Und die örtliche Wirtschaftsförderung sollte als Stabsstelle bei den Bezirksbürgermeistern angesiedelt werden. „Wir brauchen eine Ermöglichungs- und keine Verhinderungsverwaltung“, sagt Bäumer. Den bürgerfreundlichen Führerscheinentzug werde es auch in Zukunft nicht geben. „Aber wer den Kunden blöd kommt, darf nichts zu lachen haben.“ Der kritische Blick des Neuberliners ändert aber nichts daran: „Ich liebe diese Stadt, das kann ich jetzt sagen!“

Die Serie finden Sie auch im Internet: www.tagesspiegel.de/chancen

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