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Berlin: Einigkeit und Recht und Ordnung

1990 dachte der Marzahner Volkspolizist: In dieser Charlottenburger Dienststelle halte ich es keine zwei Wochen aus In Marzahn merkte der Staakener Polizeiobermeister: Ohne Hilfe geht hier nichts. Und heute? Da ist Berlins Polizei eine Einheit

Am Nachmittag des 30. September 1990 erhielt der Marzahner Volkspolizist Uwe Ackermann den Anruf, dass er am 1. Oktober am Theodor-Heuss-Platz erscheinen möge. Dort sei seine neue Dienststelle. Zur selben Zeit studierte in Staaken Polizeiobermeister Wolfgang Dreser den Stadtplan. Er hatte eine Woche zuvor erfahren, dass er ab 1. Oktober in Marzahn Dienst tun soll – wie alle aus seiner Wache, die jünger als 40 waren. Die Wiedervereinigung der Berliner Polizei stand an. Und die spannendste Zeit im Berufsleben von Ackermann und Dreser.

Ackermann spürte schnell die Ossi-Phobie seines neuen Wachleiters. Die sollte sich später geben, aber zunächst stand der Feiertag der Wiedervereinigung an. Als Ackermann sich nach dem Plan für den Großeinsatz erkundigte, winkten seine neuen Kollegen ab: „Dazu brauchen wir Sie nicht.“ „Ich dachte, die wollen uns verarschen. Hier halte ich es keine 14 Tage aus“, erinnert sich Ackermann.

„Ja, viele sind hier drüben nicht gerade freundlich empfangen worden“, sagt Dreser. Er konnte es sich nicht leisten, unfreundlich zu sein. Die endlose Allee der Kosmonauten mit ihren immer gleichen Abzweigen in immer gleiche Plattenbaukarrees war schon mithilfe der ortskundigen Beifahrer eine Herausforderung. Die Ostkollegen durften ja ihren Lada nicht mehr benutzen, solange ihnen die Westprüfung für Einsatzfahrten fehlte. So, wie sie auch keine Entscheidungen mehr treffen und keine Berichte mehr unterschreiben durften. Dreser hatte also ziemlich viel um die Ohren. Von den renitenten Bürgern nicht zu reden.

Uwe Ackermann war derweil als Sozius im friedlichen Westend unterwegs. „Kielschwein“ nannten sie die begleitenden Vopos dort. Im Bootsbau bezeichnet dieser Begriff eine gelegentlich hinderliche Konstruktion am Rumpf, aber in Ackermanns Fall war es nett gemeint. In Westend galten Polizisten etwas und auch an ihn mit seiner Vopo-Uniform verlor kein Bürger ein böses Wort. Manchmal fürchtete Ackermann zwar, dass ihm die Charlottenburger Bourgeoisie aus Mitleid eine Banane schenken würde. Aber er lernte viel und schnell, arrangierte sich mit Chef und Kollegen und wurde schnell ein voll integrierter Polizist, der „Supermarkt“ sagte statt „Kaufhalle“. Dass die Verwandtschaft ihm vorhielt, „Du redest schon wie ein Wessi“, konnte er verschmerzen.

Dreser dagegen schlug sich mit den Marzahnern herum, die Ackermann hinter sich gelassen hatte. Häufig sogar im Wortsinne. „Unsere Ostkollegen sagten, dass die Bereitschaft, sich mit uns zu rollen, deutlich gestiegen war“, erzählt Dreser. „Rollen“ ist Polizeijargon für prügeln. Vor allem Jugendliche führten sich auf, als wären mit der Mauer auch sämtliche Gesetze gefallen. Ladendiebe rannten nicht mehr weg, sondern schlugen um sich. Die neuen Autos waren zu schnell für ihre Fahrer. Und der Wegfall der zu DDR-Zeiten rigoros durchgesetzten 0,0-Promillegrenze zog böse Unfälle nach sich. Die Ostpolizisten waren entsetzt über den Verfall der Sitten und die aus dem Westen mussten plötzlich auch Griffe anwenden, die wehtaten. Die harte Arbeit schweißte die alten und neuen Kollegen in Marzahn zusammen. In der ersten Woche saßen sie noch an entgegengesetzten Tischseiten, nach zwei Monaten waren sie Kollegen und nach einem halben Jahr spielte es keine Rolle mehr, wer von ihnen Ossi und wer Wessi war. Dass die Westpolizei nicht nur Häuptlinge in den Osten schickte, sondern auch Indianer, erleichterte die Sache. Dreser sah bald, dass er und die Volkspolizisten schon früher sehr ähnliche Jobs hatten, nur eben in verschiedenen Ländern. „Die Kriminellen sind sowieso überall vollkommen gleich“, bestätigt Ackermann.

Es gab da nur ein Problem: Dreser ging seinen Exkollegen zunehmend auf die Nerven, weil er regelmäßig mit seinem Lada nach Charlottenburg gebrummt kam, um stapelweise Formulare für seine Marzahner Wache abzufahren.

Als Ackermann nach einem Jahr die Rückkehr nach Marzahn angeboten wurde, lehnte er ab, obwohl der tägliche Weg dorthin von seinem Wohnort Biesdorf kürzer gewesen wäre. Dreser ging zurück in den Westen – einfach, weil ihn die täglich zwei Stunden hin und zwei Stunden zurück von Staaken nach Marzahn anödeten. Aber die Polizei empfanden beide längst als wiedervereinigt.

Ein hartnäckiger Stimmungskiller war nur der Stasi-Verdacht, der im besseren Fall als Gag und im schlechteren als Gerücht umhergeisterte. „Nervig und ätzend“ sei die Zeit ab 1992 gewesen, sagt Ackermann, als einzelne Kollegen von heute auf morgen verschwinden mussten. Aber: „Man hatte die Chance, die Wahrheit zu sagen.“ Im Fragebogen offengelegte Stasi-Kontakte bedeuteten keineswegs den Rauswurf. Während Ackermann den Fragebogen als einzig praktikable Umgangsform mit dem Thema beschreibt, lässt Dreser, der Wessi, volles Verständnis für die Stasi-Kontakte zumindest der höheren Chargen durchblicken. Dank seiner Osterfahrung weiß er, dass es ab einem gewissen Dienstrang kaum ohne ging und dass die Stasi auch anderes tat, als nur unbescholtene Bürger zu bespitzeln. Ackermann hat als häufigsten Fall die Hakenkreuzschmierereien in Erinnerung, um die sich neben den Spurensicherern der Polizei auch die Herren von „VEB Horch und Guck“ kümmerten.

Jetzt ist Ackermann 46 und Dreser 52. Beide zählen sich zur Generation der Polizisten aus Leidenschaft. Für die jüngeren sei der Job eher Beruf als Berufung, sagen sie. Aber neuerdings kämen noch jüngere, die wieder mit Herzblut Freund und Helfer sein wollen. Nur Ossis und Wessis gebe es bei ihnen nicht mehr.

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