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Haaaalloooo, ist hier jemand? Zwischen den Jahren wirkt ganz Berlin so ausgestorben wie sonst nur der Flughafen BER.

© imago/Jürgen Ritter

Einsames Weihnachten: Alle Jahre wieder wird Berlin zur Geisterstadt

Berlin ist die Stadt unserer Herzen – aber zum Fest der Liebe lassen wir jungen Zugezogenen sie kollektiv im Stich. Zurück bleiben Szenekieze, die plötzlich toter wirken als die Heimatkäffer ihrer Bewohner. Feierlich ist das nicht. Eine Selbstanalyse.

An Weihnachten – das wissen wir aus Familienkomödien zur besten Sendezeit – läuft immer irgendetwas schief oder anders als geplant. Bei mir war es im letzten Jahr die Katze. Todkrank hing das gute Tier auf der Heizung in meiner Friedrichshainer Wohnung. Sie im Transportkorb durch das kalte Berlin tragen, in den Zug hieven und ihr eine Reise in den Norden Deutschlands zu meiner Familie antun – undenkbar. Auch der Tierarzt winkte ab. „Machen Sie ihr noch ein paar schöne Tage.“

Und so blieb ich, während die anderen fuhren. Unten auf der Straße wurden Rostlauben, Familienkombis und Leihwagen mit Taschen und bunten Paketen beladen. Karawanen von Rucksackberlinern zogen aus ihren WGs in Richtung Bahnhof oder Mitfahrgelegenheit. Die Stille in der Nachbarschaft wuchs proportional zur Menge der freien Parklücken im sonst so autoverstopften Kiez.

So ging es und so gingen sie, bis es dann, am 24. Dezember gegen Mittag, wirklich gespenstisch still wurde – nur das Röcheln der Katze war noch zu hören. Was hatte der Tierarzt gesagt? Noch ein paar schöne Tage? Mich überkam ein bitteres Schaudern. Das war kein besinnlicher Heiligabend – das war Zombie-Apokalypse in Hipsterland. Ich malte mir aus, überfallen zu werden, ohne dass ein Nachbar meine Schreie durch die wirklich sehr hellhörigen Wände hören würde. Die ehemals wehrhafte Katze hätte mich jedenfalls nicht verteidigen können.

Wenn es richtig schön sein soll, ist uns Berlin nicht schön genug

Meine Gedanken begannen zu kreisen: Hier, in den jungen Zentren Berlins innerhalb des S-Bahn-Rings, ist man doch so stolz darauf, Berliner zu sein. Klar, irgendwann kam man mal aus diesem sauerländischen oder schwäbischen Kaff, aber hey: Home is where the heart is. Und weil das Herz so stark für Berlin schlägt, schwören alle, das öde Kaff in der Ferne sei längst Geschichte.

Nur: Das ist leider totaler Quatsch – und Weihnachten ist der Beweis. Den wichtigsten Feiertag in unserem Kulturkreis verbringen auch linksliberale Start-up-Gründer traditionell mit ihren Liebsten – und für Liebe ist Berlin offenbar eine unerträgliche Umgebung. Die Stadt unserer Herzen bedeutet uns so wenig, dass wir sie Jahr für Jahr kollektiv im Stich lassen. Wenn es richtig schön sein soll, ist sie uns nicht schön genug. Das ist ziemlich hässlich.

Und peinlich ist es auch: 2013 schrieb mein Kollege Stephan Wiehler unter der Überschrift „Schön ohne euch“, wie sehr er es genießt, dass die Straßen rund um die Feiertage so leergefegt sind. Und rief als Kreuzberger den Festtagsflüchtigen hinterher: „Diejenigen, die der Stadt über Weihnachten und Neujahr die Treue halten, sind in Wahrheit die richtigen, die echten Berlinerinnen und Berliner!“ Das saß.

Die Einsamkeit war nicht auszuhalten

Und doch ist dem Problem alleine kaum beizukommen: Wenn man nicht gerade so tickt wie der zitierte Kollege (übrigens ein zugezogener Niedersachse), bevorzugt man vielleicht eine lebendige Stadt, in der nachts auch mal eine Bierflasche klirrend auf dem Gehweg umfällt. Eine Stadt voller gutgelaunter, gleichgültiger, angenervter Gesichter. Eine Stadt, in der es zu jeder Uhrzeit einen Anlaufpunkt gibt – sei es der Späti, die Kneipe oder die Freunde als bewährter Familienersatz. Genau das alles ist Berlin zu Weihnachten nicht. Es verliert sich selbst, weil wir es im Stich lassen – und wir werden es noch bereuen! Dann nämlich, wenn wir ganz schnell heimisch werden müssen, weil unsere Eltern tot oder nach Berlin gezogen sind.

Ich bin kein großer Weihnachtsfan, aber diese Demütigung, diese Einsamkeit beim letzten Fest war nicht auszuhalten. Ich lud also meine Familie ein, und natürlich kam sie. Wir knabberten Kekse, die mitgebrachten Tannenzweige dufteten. „Ist doch schön: Selbst in der kleinsten, heruntergekommensten Bude kann man Weihnachten feiern“, freute sich mein Eigenheim-Vater, und ich – Mieterin einer gut sanierten Zweizimmerwohnung – wusste erst nicht so recht, was er meinte. Vielleicht miete ich beim nächsten Weihnachtsfest in Berlin einfach eine der großen, schicken Wohnungen im Kiez. Leerstand genug dürfte es ja geben. Hauptsache, Berlin muss nicht wieder allein feiern.

Dieser Text erschien zunächst am 24. Dezember 2016 als Rant in unserer gedruckten Samstagsbeilage Mehr Berlin.

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