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Ältere Menschen könnten sich besser auf die Einschränkungen einstellen, sagt Psychologin Eva-Marie Kessler.

© Stephan Scheuer/dpa

Einschränkungen durch das Coronavirus: Warum sich ältere Menschen leichter auf die Pandemie einstellen können

Die Alterspychologin Eva-Marie Kessler erklärt im Interview, wieso es älteren Menschen leichter fällt als jüngeren, sich auf die Coronavirus-Krise einzustellen.

Eva-Marie Kessler ist Alterspsychologin an der Medical School Berlin.

Frau Kessler, ältere Patienten leiden im Zusammenhang mit dem Corona-Virus unter einer erhöhten Sterblichkeit. Erleben Ältere die Ausbreitung des Virus als persönliche Bedrohung?
Es reicht nicht, nur mit Zahlen darüber zu informieren, dass ein höheres Lebensalter einen Risikofaktor darstellt. Deshalb erleben sich ältere Menschen persönlich aber noch nicht als gefährdet. Die anderen Älteren sind es, die als gefährdet wahrgenommen werden.

Hier gilt der Spruch: Alt sind immer die anderen. Im Zusammenhang mit dem Coronavirus sind zwar viele ältere Menschen im Moment beunruhigt. Manche haben aber die Gefährdung zumindest bis letzte Woche für sich selbst als nicht so relevant eingeschätzt und nicht gleich gehandelt. Inzwischen hat sich das Problembewusstsein nach meinem Eindruck aber klar geändert.

Wie kann man diesen Menschen ihre Ängste nehmen, ohne die Gefahr zu verharmlosen?
Man sollte einfühlsam auf die Gefährdungssituation hinweisen und dies mit konkreten Unterstützungsangeboten verbinden. Mit zunehmendem Alter schenken Menschen positiven Botschaften mehr Aufmerksamkeit als negativen. Statt „Geh nicht mehr aus dem Haus“ sind positive Anregungen, wie man mehr Zeit zuhause mit angenehmen Dingen verbringen kann, viel günstiger.

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Bevormundung und Belehrungen stoßen berechtigterweise auf Ablehnung und führen zu Konflikten. Die Botschaft einer alternativlosen Selbstisolierung ist aus meiner Sicht nicht günstig. Einsamkeit und körperliche Inaktivität stellen erhebliche Risikofaktoren für die Gesundheit im Alter dar. Ältere Menschen können und sollen weiterhin aktiv sein.

Aber die Art der Aktivitäten muss an die aktuelle Situation angepasst werden. Statt in den wöchentlichen Kurs im Sportverein zu gehen, kann man bei ausreichender Mobilität auch einen Spaziergang mit einer Freundin im Park machen. Flexibilität und Kreativität sind gefragt.

Eva-Marie Kessler ist Alterspsychologin an der Medical School Berlin.
Eva-Marie Kessler ist Alterspsychologin an der Medical School Berlin.

© privat

Sind ältere Menschen möglicherweise geistig widerstandsfähiger, weil sie schon vieles erlebt haben?
Gerade die Kriegs- und Nachkriegsgeneration hat viele Entbehrungen ertragen müssen. Ich traue gerade dieser Altersgruppe zu, ihren Lebensstil an die aktuellen Erfordernisse anzupassen, auch wenn das ungeheuer herausfordernd ist.

Denn älteren Menschen sind positive Routinen und ihr emotionales Wohlbefinden wichtiger als jüngeren. Es tut weh, wenn man Dinge aufgeben muss, die einem im Alltag Kraft und Freude schenken.

Sollte man den Kontakt von Älteren mit Angehörigen zulassen oder besser nicht?
Die Enkelkinder sind den meisten älteren Menschen sehr wichtig. In diesem Bereich fällt die Umstellung sicherlich am schwersten. Ich vermute aber, dass sich viele in den letzten Tagen an den Gedanken gewöhnt haben, ihre Enkelkinder bis auf Weiteres weniger oder gar nicht zu sehen und Kontakte vermehrt per Telefon oder auch Whatsapp und Skype zu pflegen.

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Das Gebot der Stunde ist jetzt das, was der Sozialgerontologe Leopold Rosenmayr „Intimität auf Abstand“ genannt hat. Außerdem: Wenn man das Enkelkind trifft, und wegen des Coronavirus ständig Angst hat – abwechselnd um sich oder um das Enkelkind – dann macht das Zusammensein ja auch wenig Spaß.

Nach meiner Beobachtung fällt es umgekehrt vielen Jüngeren im Moment genauso schwer, von ihren älteren Angehörigen fern zu bleiben, weil sie gerade jetzt gern für diese da wären.

Besteht die Gefahr einer Stigmatisierung älterer Menschen?

Viele jüngere Menschen sind frustriert wegen der Einschränkungen, die jetzt drohen oder schon eingetreten sind. Ich hoffe, dass sich daraus nicht eine Diskussion entwickelt, in der ältere Menschen als das Problem angesehen werden. Das Problem ist das Gesundheitssystem, das nicht ausreichend auf die Versorgung alter und vulnerabler Menschen ausgerichtet ist.

Kai Gies

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