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Mit jedem neuen Schuljahr, das kommt, steht Berlin vor der bangen Frage, ob genügend Lehrkräfte bereitstehen werden.

© Martin Schutt/dpa

Einstellungsbedarf zum kommenden Schuljahr: Berlin braucht 2600 neue Lehrkräfte

Ein drastischer Lehrermangel zum August ist absehbar. Eine verschärfte Attestpflicht soll verhindern, dass die Personallücken noch größer werden.

Berlins Schulen stehen vor einer schwierigen Zäsur: Während sie im Sommer die Umstellung vom Corona-Betrieb auf den Normalbetrieb zu organisieren haben, sind die Lehrer knapp wie nie: Es werden nicht nur rund 2600 neue Pädagogen gesucht, sondern auch Vertretungskräfte für Lehrer, die wegen Vorerkrankungen im Homeoffice bleiben.

Um zu vermeiden, dass deren Zahl in die Tausende geht, plant Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) nach Tagesspiegel-Informationen eine Verschärfung der Attestpflicht.

Dem Vernehmen nach soll es ab dem 5. August nicht mehr ausreichen, sich von einem beliebigen Haus- oder Facharzt ein Attest über eine Covid-relevante Vorerkrankung ausstellen zu lassen. Vielmehr soll der Arbeitsmedizinische Dienst eingeschaltet werden.

Schulleiter äußerten Verständnis für dieses Vorhaben, nachdem sie „abenteuerliche“ Atteste gesehen hätten.

Tatsächlich hängt von der Attestfrage an einigen Schulen wesentlich das Gelingen des neuen Schuljahres ab: Nach Angaben der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) gehören „bis zu 20 Prozent der Beschäftigten zur Corona-Risikogruppe“.

Bis zu 20 Prozent der Beschäftigten gehören laut GEW zur Risikogruppe

Ausgehend davon, dass in Berlins Schulen rund 35.000 Lehrer arbeiten, wären das theoretisch 7000 Lehrer, die für den regulären Präsenzunterricht ausfielen.

Wenn im nächsten Schuljahr auch nur halbwegs die Stundentafel abgesichert werden soll, muss die Bildungsbehörde sicherstellen, dass kein Lehrer mehr als nötig zu Hause bleibt.

Aber selbst dann, wenn nur wenige Lehrkräfte wegen Vorerkrankungen wie Lungenleiden oder Krebs den Schulen fernblieben, gäbe es Personalmangel: Noch ist unklar, ob und wie die 2600 Stellen besetzt werden, die wegen Pensionierungen, steigender Schülerzahlen oder Abwanderungen offen sind. Das sind noch mehr als in den drei Vorjahren, als immer zwei Drittel der Stellen durch Quereinsteiger besetzt werden mussten.

Wie viele Lehrer wollen nach Brandenburg?

Schulen berichten abermals über etliche Kündigungen von Lehrern, die in andere Bundesländer gehen. „Viele Kollegen sprechen über aktuelle Angebote aus Brandenburg“, weiß Katharina Legnowska von der Schöneberger Sternberg-Grundschule. Eine fertig ausgebildete Referendarin habe bereits gekündigt, eine erfahrene Lehrkraft „mit zusätzlicher Schulleiterqualifikation“ folge ihr zum Ende dieses Schuljahres.

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Das brandenburgische Bildungsministerium konnte am Donnerstag nicht sagen, wie viele Berliner Lehrer zum Sommer abermals über die Landesgrenze wechseln. „Aber jeder weiß doch, dass bei der Lehrkräftegewinnung alle Bundesländer im Wettbewerb miteinander stehen“ – und Brandenburg werbe natürlich mit seinen Vorzügen wie der Verbeamtung.

Im Gegensatz zu Berlin hat Brandenburg bereits eine Zwischenbilanz zu den Einstellungen vorgelegt. Demnach waren bereits im Mai rund 1150 Lehrer eingestellt – von bis zu 1400, die bis Februar 2021 gebraucht würden.

„Der Markt ist völlig leer“, resümierte am Donnerstag Astrid-Sabine Busse von der Interessenvertretung Berliner Schulleiter.

Seit mehreren Jahren reichen nicht einmal die Quereinsteiger, um die freien Stellen zu besetzen.
Seit mehreren Jahren reichen nicht einmal die Quereinsteiger, um die freien Stellen zu besetzen.

© Tagesspiegel/Böttcher

Im Gegensatz zu anderen Jahren habe sie „noch nicht eine Initiativbewerbung“. Busse schlägt vor, die Regelungen für Pensionäre, die weiterarbeiten wollen, zu lockern.

Bisher dürften sie nur sieben bis elf Stunden unterrichten, ohne dass das Entgelt mit der Pension verrechnet werde. „Das Landesbeamtengesetz sollte an dieser Stelle geändert werden“, findet Busse, die die Grundschule an der Köllnischen Heide leitet.

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Die GEW setzt andere Prioritäten. So solle es Anreize für Teilzeitbeschäftigte geben, ihr Stundenkontingent zu erhöhen. Dazu könne mehr Geld gehören sowie verbesserte Arbeitsbedingungen – etwa durch Entlastung durch zusätzliche IT-Fachkräfte, Schulpsychologen und durch qualifizierten Fernunterricht, den die Beschäftigten aus Risikogruppen im Homeoffice anbieten könnten.

Dazu brauche man aber Fort- und Weiterbildungen und eine bessere technische Infrastruktur. Zudem plädiert GEW-Chef Tom Erdmann für die Zeit nach den Sommerferien für die Etablierung von „Lernbüros“, in denen feste Schülergruppen in fächerübergreifenden Projekten zusammenarbeiten.

So sei es möglich, dass zwei bis drei Lehrkräfte über mehrere Wochen hinweg nur einer Lerngruppe fest zugeordnet werden: „So würde die Anzahl der Sozialkontakte und damit das Corona-Infektionsrisiko um ein Vielfaches sinken“, erwartet Erdmann.

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