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Berlin: Eintanzen unter der Kirche

Von Katja Füchsel Schon ein eigenartiges Ding, dieses klobige Zelt mit dem niedrigen Eingang. Manche schlendern irritiert vorbei, andere nähern sich vorsichtig.

Von Katja Füchsel

Schon ein eigenartiges Ding, dieses klobige Zelt mit dem niedrigen Eingang. Manche schlendern irritiert vorbei, andere nähern sich vorsichtig. Linsen ins Innere, gehen weiter, kommen zurück, zögern, nehmen sich dann doch ein Herz, ziehen den Kopf ein – und stehen im Innern einer mongolischen Jurte. „Die Leute stellen lustige Fragen“, sagt eine Frau im bunten Gewand. In der Mitte des Zeltes kocht Buttertee in einem eisernen Topf, dahinter brennen Kerzen auf einem Altar. Tseka Daguadorje zieht mit ihrer Jurte durchs Land, singt und erzählt zuweilen am Herdfeuer asiatische Geschichten. Wer sich bei Tseka niederlässt, bekommt eine Einführung in die mongolischen Sitten. Zum Beispiel: „Die Füße dürfen nicht zum Altar, sondern müssen zum Ausgang zeigen.“

Noch bis zum Montag steht Tseka mit ihrem Zelt beim Straßenfest zum Karneval der Kulturen, und mit ihr 250 andere Stände. Da gibt es die Klassiker: Karussells, Zuckerwatte, Chinapfanne, Pils, Rostbratwurst. Bereits am Mittag schlendern und schlemmen die Massen am Blücherplatz, in der Blücherstraße und in der Zossener Straße. Die einen stoßen an den Tischen mit Bier an, andere schlürfen selig an den Caipi-Plastikbechern. Cocktails am Mittag? „Wir trinken auch ganz langsam“, sagt eine Frau.

Der Berliner ist eben so. Man stelle ihm einen Bierstand mit Wurstbude auf die Straße und schon strömt er in Massen. Beim Karneval der Kulturen kann er sich außerdem an Farben, Düften und Klängen berauschen. Auf vier Bühnen läuft Unterhaltungsprogramm: Salsa auf der „Barrio Latino“, Tänze aus Togo auf der „Farafina“, anatolischer Flamenco auf der „Bazaar Oriental“ und Guggamusiker auf der „Eurasia“. An der „Barrio Latino“ hat sich bereits früh eine achtköpfige Gruppe, ausgewiesene Latino-Liebhaber, festgesessen. Oberkörper wiegen im Takt. „Den Platz gebe ich nicht mehr her“, sagt einer.

Auch gut, verstopft er wenigstens nicht die Gänge zwischen den Ständen, unter denen die Klassiker übrigens in der Minderzahl sind. „Das gleicht einem riesigen Markt aus allen Ländern“, sagt eine Frau mit Buggy. Das Kind lutscht amerikanisches Eis, die Mutter kramt zwischen den afrikanischen Instrumenten. Derweil wagt ein Paar hinter dem Stand der kroatischen Kulturgemeinde ein Tänzchen. „Wir sind zum ersten Mal hier vertreten“, sagt eine Frau in Nationaltracht. Vor ihr liegt Selbstgemachtes: Kuchen, Cevapcici. Daneben steht der Slivowitz. Derweil bilden sich am Stand mit den Tajinen, dem marokkanischen Lehmkochgeschirr, Menschentrauben. An der Pakalolo-Bar lachen die Cocktail-Trinker unter Palmblättern. Und von der Bühne ruft ein Musiker „Viele Gracias!“

Thailändisch, indisch, ägyptisch, afrikanisch – gegen Mittag sieht man am Fuße der Heilig-Kreuz-Kirche fast jeden kauen. Nur ein Stand wirkt zu dieser Zeit noch merkwürdig verlassen. Leerer Tresen, leere Bänke. Vielleicht ist es das giftige Grün. Vielleicht liegt es aber auch an der Getränkekarte. Mit dem Hemingway-Cocktail wird am Absinth-Stand geworben: „Death in the Afternoon“. Aber noch ist ja Mittag.

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