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Der Marathonmann. Oliver Snelinski hat nur ein Anliegen: seinen Bezirk Lichtenberg bestmöglich zu vertreten. Vielen Wählern muss er das erst erklären.

© Vincent Schlenner

Einzelkämpfer Oliver Snelinski: 10000 Euro Schulden für den Wahlkampf

Oliver Snelinski möchte in den Bundestag. Ohne Parteibuch. Für seinen Traum hat er 10 000 Euro Schulden gemacht. Nun stürzt sich der unabhängige Kandidat in Lichtenberg in den Wahlkampf. Ohne Parteiprogramm – und ganz allein.

Endlich hat er es auf ein Podium geschafft. Schwarzes Hemd, dunkle lange Hose. Nur die Adidas-Sneaker verraten, dass er eigentlich kein Anzugträger ist. Oliver Snelinski sitzt auf der vordersten Kante seines Stuhls, die Beine wie zum Sprung angewinkelt. So, als wollte er gleich wieder weg. Aber er will bleiben. Am anderen Ende des Podiums sitzt Gesine Lötzsch von den Linken im Andel’s Hotel, wo der Lichtenberger Wirtschaftskreis mit den Direktkandidaten diskutiert. Auf ihren Stuhl möchte er, auf ihren Platz im Bundestag. 10 000 Euro Schulden sagen, dass er es ernst meint. So viel hat er sich von der Bank geliehen, um Wahlkampf zu machen. Allein.

Kein Parteifilz, keine Fraktion und - kein Mandat

Eigentlich dürfte er gar nicht hier sitzen. Eingeladen werden zu solchen Diskussionen nur die Etablierten. Grüne, FDP, Linke, CDU, SPD, neuerdings die Piraten. Aber Snelinski ist in keiner Partei. Der 33-Jährige ist unabhängiger Kandidat. Heißt: keine Kompromisse, kein Parteifilz, keine Fraktion, die ihm sagt, wie er zu stimmen hätte. Heißt auch: keine Unterstützung, kein Geld und bisher – kein Mandat. Oft, sagt Snelinski, frage er bei solchen Veranstaltungen auf gut Glück an. Manchmal darf er sich dann vorab ein paar Minuten vorstellen. Meist wird er abgewiesen. Dass er nun mal bei den „Großen“ mitspielen darf, liegt nicht an seinem ausgeklügelten Wahlprogramm: Er hat gar keins. Sondern an seiner Idee. Snelinski würde sagen: Vision. Und daran, dass eines der Mitglieder aus dem Wirtschaftskreis seinen Flyer in die Hand bekam und an ihn glaubte.

„Ich verstehe mich als politischer Dienstleister“, sagt Snelinski, „als Wahlkreisvertreter“. So steht es auch auf seinem Flyer. Bürgerbestimmte Politik nennt Snelinski das Konzept. Würde er gewählt, möchte er regelmäßig Diskussionen mit Bürgern in Lichtenberg veranstalten. Die Ergebnisse will er dann in den Bundestag tragen. Die „Demokratie zu ihrem Ursprung zurückführen“ möchte Snelinski. „Manchmal hat die SPD den besten Ansatz, manchmal hat die CDU eine gute Idee. Als Unabhängiger könnte ich immer mit der Partei stimmen, die beim jeweiligen Thema am besten für Lichtenberg ist.“ Auf seinem Flyer prangt deswegen auch nicht sein Gesicht, sondern ein Umriss des Bezirks, der ein bisschen aussieht wie ein Männchen. Eine befreundete Grafikerin hat ein Paar Augen hineinretuschiert und der Figur eine Fackel in die Hand gemalt. „Feuer und Flamme für Lichtenberg“ steht daneben. Oft ist das alles, was potenzielle Wähler von seiner Vision mitkriegen.

1,1 Prozent der Erststimmen bei der letzten Wahl

20 000 Flyer hat er verteilt. 50 000 sollen es bis zur Wahl werden. Snelinski bietet sie mühsam vor dem S-Bahnhof Lichtenberg feil. Er hat sich ein blaues T-Shirt mit seinem Logo drucken lassen. Seine Wahlkampfutensilien passen in den kleinen Rucksack, den er immer dabei hat. Keine fünf Minuten vom S-Bahnhof entfernt hat er seine „Wahlkampfzentrale“. Die Wohnung, in der er seit elf Jahren lebt. Ein kleiner Laptop steht da, ein paar Plakate. Vor seinem Balkon durfte er ein Transparent aufhängen. „Bis zur Wahl“, habe die Hausverwaltung gesagt.

Snelinski riskiert viel für eine aussichtslose Idee, wie er selbst zugibt. 2009 ist er schon einmal angetreten. 1439 Menschen glaubten damals an ihn. 1,1 Prozent der Erststimmen in Lichtenberg.

Gesine Lötzsch hatte 47,5 Prozent. Seit 2002 hält sie den Wahlkreis. Auch Oliver Snelinski hat ihr damals seine Stimme gegeben. Jetzt im Wahlkampf beachte sie ihn kaum, sagt er. „Kühl und berechnend“ sei sie. „Hätte ich nicht gedacht“, sagt er beiläufig. „Ganz oder gar nicht“, so beschreibt er seinen Wahlkampf. Deswegen der Kredit, an dem er wohl noch mehr als drei Jahre abbezahlt. Deswegen unterbrach er seinen Job als Sportdozent an der Humboldt-Universität.

Jetzt, da es auf die Wahl zugeht, wird das Geld langsam knapp. Am Sonntag will er noch zu einem finalen Schlag ausholen. Einen „Politik-Marathon“ will er organisieren. 42 Kilometer Radtour durch den Wahlkreis. An sieben Stationen will er mit Bürgern diskutieren. Am Ende gibt es ein Konzert, Hüpfburg, Bierbänke, Häppchen. Wie bei den Großen. Snelinski kostet das 1500 Euro auf einen Schlag. Geld, das er nie wiedersieht. Für eine Wahlkampfkostenerstattung bräuchte er 10 Prozent der Stimmen. 2,80 Euro bekäme er dann pro Wähler. Utopisch.

"Auch mal ein bisschen rumspinnen"

Trotzdem lohnt sich sein Engagement, findet Snelinski. „Auch um den Leuten zu zeigen, was alles geht. Meinetwegen auch mal ein bisschen rumspinnen, wo alle Parteien nur sagen: das geht nicht.“ Ein paar eigene Ziele hat er auf seinen Flyer geschrieben: ein Bedingungsloses Grundeinkommen, einen kostenfreien Nahverkehr. Doch als er dort auf dem Podium sitzt, mit Lötzsch und all den anderen Parteienvertretern, die routiniert ihr Programm runterrattern, fragt ihn niemand danach. Nur, was er für kleine und mittelständische Unternehmen in Lichtenberg tun wolle, falls er gewählt würde, will der Moderator wissen. Snelinski weiß es nicht. Genau das möchte er ja von den kleinen und mittelständischen Unternehmern erfahren, deren Vertreter er dann wäre. „Wirtschaft ist nicht mein Fachgebiet“, antwortet er.

„Unbeholfen“ wirke das, sagt einer der Unternehmer im Anschluss. Aber auch „sympathisch und ehrlich. Das muss man unterstützen“. Eine Stimme mehr für Snelinski. Er ist zufrieden. Wenn es nicht klappt mit der Wahl, will er 2017 wieder antreten. Ein letztes Mal. Er wäre dann einer der „Etablierten“. Außer Lötzsch ist keiner der Kandidaten in Lichtenberg dreimal in Folge angetreten.

In ganz Deutschland treten laut Bundeswahlleiter insgesamt 81 unabhängige Kandidaten an. Prominentester Vertreter ist der ehemalige Bundesrichter Wolfgang Neškovic, der seit seinem Austritt aus der Linkspartei 2012 der einzige parteilose Abgeordnete des Bundestages ist. Er tritt im Wahlkreis Cottbus-Spree-Neiße in Brandenburg an. In Berlin stellen sich insgesamt acht unabhängige Kandidaten zur Wahl, darunter eine Frau: Franziska Syller und Ralph Boes in Mitte, Frank Ditsche in Reinickendorf, Frank Di Leo und Markus Beckmann in Friedrichshain-Kreuzberg, Walter Fricke in Spandau, André Otto in Marzahn-Hellersdorf – und eben Oliver Snelinski in Lichtenberg.

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