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Berlin: Eiskalt ausgehalten

Trotz Weihnachten und Kälte: Die protestierenden Studenten vorm Rathaus machen weiter. Und hoffen auf neuen Schwung im Januar

Das war der Härtetest. Wochenlang haben Berlins streikende Studenten bei jedem Wetter demonstriert und agitiert, sind nackt über Weihnachtsmärkte geflitzt und haben bei Minusgraden vorm Roten Rathaus campiert. Der Winter konnte ihnen nichts anhaben. Bis das Weihnachtsfest nahte. Da fiel der Protest von einem Tag zum nächsten fast vollständig in sich zusammen – bis auf ein wackeres Grüppchen von Protestierern, die weder Familienpflichten noch Weihnachtsverlockungen von ihrer Mission ablenken konnten.

„Wir sind die einzigen, die den Protest auf Sparflamme am Leben erhalten“, sagt Ethnologiestudent Oliver Jahn stolz. Der junge Mann mit den blonden Dreadlocks unter der Wollmütze sitzt in mehrere Schichten Winterkleidung eingepackt vor dem improvisierten Zelt, das Studenten vor einem Monat gegenüber dem Rathaus aufgebaut haben. Er reibt sich die Hände gegen die Kälte und erzählt gut gelaunt, wie er und seine acht Mitstreiter die Feiertage ausgehalten haben. „Heiligabend war’s hier richtig gemütlich.“

Anwohner und Freunde hätten etwas zu essen vorbeigebracht, dazu gab’s Glühwein, und dann erzählten sie sich Weihnachtsgeschichten. Ein russischer Passant sang ihnen spontan ein Weihnachtslied. Nur der Adventskranz musste ausbleiben: „Der war komplett gefroren, so dass wir die Kerzen nicht anbekommen haben“, erzählt Frank Goymann (20), Student der Werkstoffwissenschaften an der TU. Eine Heizung haben sie unter ihrer niedrigen Plane nicht, nur winterfeste Schlafsäcke. Ihr Standardwitz über die Feiertage war es, Besuchern einen Schluck Wasser anzubieten: Die Flasche war samt Inhalt zu einem Eisblock gefroren.

Die kleine Gruppe ist überzeugt vom Sinn ihres Ausharrens: „Wir bleiben bis zum bitteren Ende“, sagt Max Bügler, Physikstudent an der TU. Nur so könne der Protest ins neue Jahr getragen werden. Unermüdlich werben sie bei Passanten um Unterstützung im Kampf gegen die Kürzungen, verteilen Protestzeitschriften und versuchen, Verständnis für die Verstümmelung des Weihnachtsbaumes vorm Rathaus zu gewinnen, dem ein Student vor Wochen die Spitze abgeschnitten und durch ein „Gekürzt“-Schild ersetzt hatte.

Ein Rückschlag war für die Gruppe der vergangene Montag. Da hatten die Präsidenten von Humboldt- und Freier Universität trotz wochenlanger Studentenproteste die Verträge mit dem Senat unverändert unterzeichnet und damit Kürzungen von 75 Millionen Euro akzeptiert. Nur die Technische Universität hat ihre Entscheidung vertagt. „Das freut uns, denn wir hoffen, dass die TU bei ihrem Nein bleibt und dann neue Verträge her müssen“, sagt Oliver Jahn. Bis dahin, so hofft er, ist auch der Protest wieder angewachsen.

Ab dem 5. Januar sollen Vollversammlungen an den drei Hochschulen entscheiden, wie es mit dem Streik weitergeht. Verstärkung erwarten sich die Protestierer bereits in diesen Tagen, wenn ihre Mitstreiter von den Familienbesuchen zurückkehren. Das hat sich Oliver Jahn diesmal versagt. „Meine Eltern in Bremen waren zwar traurig, aber finden es auch sinnvoll“, sagt er. Ganz muss er aber dann doch nicht aufs gemeinsame Fest verzichten: „Sie haben gestern angerufen und gesagt, sie besuchen mich hier vorm Rathaus – und Geschenke bringen sie auch mit.“

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