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Erfinder am Start. Stefan Gulas (links) erklärt das eRockit. Wichtigste Regel für die Parade durch die Stadt am Donnerstag: Nicht übermütig werden. „Fahre vorausschauend und gewöhne dich an die Neugier der anderen!“, steht im Herstellerprospekt.

© Laessig

Elektromobilität: Testfahrer unter Strom

Für fünf Auserwählte begann die Woche der Elektromobilität mit einer berauschenden Erfahrung. Dabei müssen sich die Testfahrer vorerst auf halbe Kraft beschränken

Am Ende dieser Fahrstunde können die Kandidaten gar nicht mehr aufhören zu grinsen. Für sie hat die Woche der Elektromobilität am Sonntag geradezu intergalaktisch begonnen: mit einer Berliner Elektrorakete namens eRockit. Fasziniert stehen die fünf Auserwählten zwischen den unendlichen Reihen rot-weißer Baken, die das Vorfeld der Tempelhofer Flugzeughangars wie den weltgrößten Verkehrskindergarten aussehen lassen. Neben ihnen steht der Raketenerfinder Stefan Gulas, der mit seinem österreichischen Dialekt und der weißzahnigen Fröhlichkeit unter der Sonnenbrille auch gut als Skilehrer durchgehen würde.

Am Donnerstag werden Gulas und seine Schützlinge die Parade von fast 100 Elektromobilen anführen, die vom Tempelhofer Flughafengelände zum Brandenburger Tor summen soll. Sie gehört zur „Challenge Bibendum“ des Reifenherstellers Michelin, einer der weltweit renommiertesten Veranstaltungen zu innovativer Mobilität. Sie beginnt am Mittwoch als Fachtagung – und steht am kommenden Wochenende jedermann offen. Bereits am Montag ist die Elektromobilität Thema im Bundeskanzleramt. Zugleich beginnt im Verlagshaus des Tagesspiegel ein zweitägiger Gipfel zur E-Mobility, an dem unter anderem die Vorstandschefs von Daimler, Deutscher Bahn sowie Politiker aus Land und Bund teilnehmen.

Aber was sind schon Konferenzen gegen diese E-Raserei hier, für die die Wirtschaftsförderer von Berlin Partner aus 500 Bewerbern die fünf Kandidaten ausgelost haben. Heinz Simmerl, 36, Koch, Wahlberliner und gebürtiger Österreicher wie Gulas, ist einer von ihnen. „Nicht auf den roten Knopf drücken!“, hat ihn Gulas vor dem Start ermahnt. „Wie bei James Bond?“, hat Simmerl erwidert. „Wie bei James Bond“, hat Gulas geantwortet und ist schon mal vorausgefahren. Dabei hat er sich selbst mit dem roten Knopf bis auf die höchste Leistungsstufe gezappt. Gulas darf das. Jetzt tritt er in die Pedale dieses Zwitters mit Fahrradklingel und Motorradhupe – und gibt damit der Elektronik das Signal, ihm Feuer unterm Hintern zu machen. Akustisch erinnert das leise Heulen an eine U-Bahn auf Speed. Dazu schießt die Fuhre los wie bei Jules Verne. Nach gut drei Sekunden ist Tempo 80 erreicht. Zwölf PS klingt nach wenig, aber der Elektromotor degradiert herkömmliche Verbrenner-Pferde zu müden Mulis. Die Testfahrer müssen sich – Nicht auf den roten Knopf drücken! – vorerst auf halbe Kraft beschränken, damit sie nicht vom E-Hocker gerissen werden. Den haben die Behörden erst einmal als Leichtkraftrad eingestuft, wobei die Betonung auf die mittlere Silbe gehört. Die Kandidaten haben also alle einen Motorradführerschein und sind starke Beschleunigung gewohnt. Aber nicht diese. „Grandios“, sagt der 22-jährige Philipp Leinenbach strahlend. „Man ist sehr, sehr schnell“, resümiert Testfahrerin Veronika Kaiser. Simmerl entfährt nur ein ehrfürchtiges „Geil!“.

Schnelltest. Tagesspiegel-Redakteur Stefan Jacobs bei der Probefahrt auf dem Flughafengelände Tempelhof. Der Strom reicht für etwa 70 Kilometer. Fotos: Berlin Partner GmbH / Dirk Lässig
Schnelltest. Tagesspiegel-Redakteur Stefan Jacobs bei der Probefahrt auf dem Flughafengelände Tempelhof. Der Strom reicht für etwa 70 Kilometer. Fotos: Berlin Partner GmbH / Dirk Lässig

© Laessig

„Wir emotionalisieren die Elektromobilität“, lautet die Formulierung von Stefan Gulas für dieselbe Erkenntnis. Er habe schon 350 Bestellungen für die je 12 000 Euro teuren eRockits, aber bisher komme er mit seinem Team nicht über die Prototypen hinaus. Er finde keine Investoren für die halbe Million Euro, die er vor dem Serienstart brauche. „Die finanzieren nur irgendwelche aus Amerika kopierten Computergeschichten. Aber die sehen nicht, dass aus Berlin so ’ne Kiste kommt, die wie Google sein kann oder wie Facebook, mega, riesig!“ Notfalls müsse er mit seiner Erfindung nach China ziehen, sagt Gulas und wünscht dem E-Mobility-Standort Deutschland für diesen Fall gute Nacht.

Damit er nicht auswandert, haben ihn die Berlin-Partner-Leute als Anführer der Parade am Donnerstag auserkoren. Aufs Batteriefach haben sie die Parole „Ich bin ein Berliner“ geklebt. Vielleicht hätten sie einfach potenzielle Geldgeber auf Gulas’ Raketen setzen sollen. Testfahrer Leinenbach denkt gerade laut vor sich hin, wie er einfach davonradeln und auf der Startbahn nebenan mal den roten Knopf drücken könnte. Und Simmerl findet, dass er wegen der Ladesäule von RWE vor seiner Weddinger Haustür auch langfristig als Pilot für so eine Rakete infrage käme.

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