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Berlin: Elisabeth Gutknecht (Geb. 1909)

Sie hat dann aufgehört zu nähen, denn ihr Mann war erfolgreich.

Eigentlich wollte sie ins Büro, Schreibmaschine schreiben, das war damals modern, aber in Bad Kudowa, Schlesien, war die Moderne noch nicht so recht angekommen. Also lernte sie nähen. Obwohl die Lehrerin ihr das gar nicht zutraute: „Aus Ihnen wird nie eine gute Schneiderin.“ Da hat sie sich geirrt.

Elisabeth zog es mit 18 nach Berlin, sie wurde Näherin im Kaufhaus Wertheim. Ihr Verlobter Heinrich hatte auch Schneider gelernt, er kam aus demselben Ort und folgte ihr bald nach. Die beiden eröffneten in der Uhlandstrasse einen Modesalon: Herren- und Damenschneiderei Salon Elizabeth. Das Z klang mondäner.

Der Salon war erfolgreich, vor allem dank der wohlhabenden jüdischen Kundschaft, daneben schneiderten sie noch für den Film und das Theater Kostüme.

Dann kam Hitler, und auf die Frage ihrer Tochter, was sie damals über den Verbleib ihrer jüdischen Kunden vermutet habe, antwortete sie: „Dass die im Osten nicht als Bauern angesiedelt werden würden, das haben wir uns schon gedacht.“

Ihr Mann starb im Krieg, 1941, sie hat nie erfahren, wo genau. Sie selbst wurde ausgebombt und hatte Glück, denn ausgerechnet an diesem Tag war sie im Keller des Nachbarhauses. Am nächsten Morgen wurden auf der Straße ihre Mitbewohner aufgebahrt. Sie brauchte lange, um damit zurecht zu kommen, dass es sie nicht auch getroffen hatte. Ein kleiner Koffer blieb ihr. Und eine Zuflucht bei Freunden.

In der Uhlandstrasse konnte man nach Kriegsende kaum mehr ein Haus vom anderen unterscheiden. Viel zu tun für die Trümmerfrauen.

Elisabeth verliebte sich in ihren Obmann, und wurde schwanger. Was sie nie für möglich gehalten hatte, denn ihre Ehe war kinderlos gewesen, ihre Schuld, wie sie immer geglaubt hatte.

„Ich habe wohl einen gutartigen Tumor?“, so sprach sie beim Arzt vor, der sie lachend beruhigte. Sie war 38.

Sie hat dann aufgehört zu nähen, denn ihr Mann war erfolgreich. Sie war stolz auf ihn, er hatte Charme, sehr viel Charme, was ihr das Leben manchmal schwer machte, aber sie blieb bei ihm. Die große Liebe ihres Lebens allerdings war Heinrich gewesen – doch es gab kein Grab, an dem sie um ihn hätte trauern können.

Für die Freunde und die Familie schneiderte sie weiter. Die kleine Tochter trug immer so feine Kleider, die durften nie schmutzig werden.

Als die Gerüchte vom Mauerbau aufkamen, verließen viele Firmen Berlin, so kam die Familie nach Bad Homburg, was ein wenig wie Heimat war, wie Bad Kudowa. Nach der Pensionierung ihres Mannes, verlebten sie viele glückliche Jahre in einem kleinen Ort im Schwarzwald, am Waldesrand.

Damals begann ihre Augenkrankheit, die Netzhaut löste sich auf, sie konnte nur noch Schatten sehen. Das letzte was sie nähte, war ein Faschingskostüm für die Enkelin, ganz nah am Fenster saß sie da.

Sie kehrten zurück nach Berlin. Ihr Mann frischte sein Griechisch auf, mühte sich durch „Zettels Traum“ von Arno Schmidt, trieb Geschichtsstudien. Sie blieb Hausfrau, und kniete noch mit neunzig gelegentlich vor der Wanne und wusch seine Hemden aus.

Auch nach seinem Tod blieben ihre Vergnügungen überschaubar. Als sie nicht mehr zu Kirche gehen konnte, hörte sie die Messe im Radio. Sie lauschte gerne Krimis und Hörbüchern, und viele Jahre sang sie Montags die Rias-Schlager der Woche mit.

Sie versorgte sich noch immer selbst, wurde aber immer gebrechlicher, stürzte mehrfach, zog sich Brüche zu. „Wenn ich das Krankenhaus je wieder verlassen sollte, geh’ ich ins Heim!“, entschied sie. Aber es sah nicht gut aus, die Sterbesakramente sollten schon verabreicht werden, doch der Pfarrer, der kam, war gebürtiger Pole, stammte aus derselben Gegend wie sie, und sie redeten lange über die gemeinsame Heimat.

Elisabeth erholte sich wieder, ging ins Heim, und war der Liebling aller, schick wie sie sich hielt: Die Lady mit dem Rollator. Von nun an blieb sie von weiterem Kummer verschont, irgendwann litt ein wenig das Kurzzeitgedächtnis, aber die Erinnerungen an all die glücklichen Jahre blieben. Gregor Eisenhauer

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