zum Hauptinhalt

EM-Fanmeile: Wie die Polizei den Großeinsatz koordiniert

Hunderttausende feiern in Berlin zur EM ein Fußballfest. Doch die Polizei muss das Event mit einem Großaufgebot sichern. Ein Bericht aus der Leitzentrale.

Abpfiff. Vorbei. Andreas Sydow steht vor dem Brandenburger Tor und schüttelt den Kopf. Die Nationalelf hat gegen Italien verloren. Sein Tippspiel mit den Kollegen hat der 52-jährige stellvertretende Leiter der Polizeidirektion 3 damit ebenfalls verloren. Dabei ist der Verlauf des Abends für ihn eigentlich ein persönlicher Sieg. Sydow koordiniert den Einsatz rund um die Fanmeile, ist verantwortlich für die Sicherheit von 600 Polizisten im Einsatz und hunderttausenden Fans, die in Berlin den Niedergang der deutschen Mannschaft mitverfolgten. Alles ging glatt. Freuen kann er sich nicht: „Aus polizeilicher Sicht wäre ein Sieg der Deutschen wünschenswert gewesen.“

Doch dazu kam es nicht. Auch darauf musste Sydow vorbereitet sein. Punkt 20.45 Uhr sitzt Sydow in der Einsatzzentrale in der Kruppstraße in Moabit und blickt auf zwei große Leinwände. Was auf der Fanmeile ein buntes Gewusel aus Fußballfans, Deutschlandflaggen und Betrunkenen ist, stellt sich dort in nüchternen Zahlen dar. „100 Prozent Auslastung am Brandenburger Tor“, wird in die Einsatzzentrale gemeldet, die Zugänge werden geschlossen. Das bedeutet rund 450 000 Fans tummeln sich jetzt auf der Fanmeile. Soweit, so geplant. Zeit einen Blick auf einen weiteren wichtigen Bildschirm zu werfen. Dort wird das EM-Spiel übertragen. Hinter Sydows Bürostuhl ist ein Schal in Deutschlandfarben aufgehängt. Der einzige Farbtupfer im sonst eher funktional eingerichteten Lagezentrum im dritten Stock . „Wir beobachten auch den Spielverlauf“, erklärt Sydow. Hier nennen sie ihn den PF, den Polizeiführer. Gewinnen die Italiener, würden Einheiten zu den italienischen Fangruppen beordert, um sie im Zweifel vor dem Frust deutscher Fans zu schützen. Doch es sind kaum Italiener da, das Spiel wird trotzdem beobachtet. Fast jeder hier in der Direktion hat einen Tipp abgegeben. 2:1 für Deutschland hat Sydow vorhergesagt. Eine Fehleinschätzung. Die einzige an diesem Abend.

Erfahrungen aus WM 2006

Gut zweieinhalb Monate hat er zusammen mit den Veranstaltern und Rettungskräften an dem Konzept gearbeitet, die Besucherströme geordnet zu leiten. Fünf Zugangspunkte betreut der Veranstalter. Doch wird es auf der Fanmeile zu voll, sperrt die Polizei schon hunderte Meter vorher die Straße, damit es sich nicht unmittelbar vor dem Veranstaltungsort staut. Er vergleicht es mit einer „semipermeablen Membran“: Raus ja, rein nicht mehr. „Wir schöpfen aus Erfahrungen der letzten zehn Jahre“, meint Sydow. Loveparade, Silvester, Weltmeisterschaft. Rund ums Brandenburger Tor hat er ständig mit solchen Großveranstaltungen zu tun. 2006 beriet er die Senatskanzlei für Sport, wie das Sommermärchen zu meistern ist. Nun gehen auf den Laptops seiner Mitarbeiter minütlich Berichte von Polizeibeamten vor Ort ein, aus denen Sydow und das Team die Gesamtlage zusammensetzen müssen. „Seismografen“, nennt Sydow diese Beamten auch.

Drogen, Schlägereien, Böller

Einer dieser „Seismografen“ ist Markus Matiwe. Der 33-jährige Oberkommissar steht am anderen Ende der Befehlskette in voller Schutzkleidung am Eingang zur Fanmeile. Sein Abend verläuft nicht ganz so entspannt. Mehrfach muss er bei Streitereien dazwischengehen und etliche Anzeigen aufnehmen. Drogen, Schlägereien, Böller. Kleinigkeiten angesichts eines so großen Events, findet Matiwe. „Ein Großteil der Klientel auf der Fanmeile ist sehr familiär“, sagt er. Das nehme viel Aggression raus.

Im Laufe des Spiels kommt auch Polizeiführer Andreas Sydow auf die Fanmeile, da verlassen frustrierte Fans bereits in Scharen das Areal. „Die müssen wir jetzt noch sicher zur Bahn kriegen“, sagt er. Verhindern, dass ihr Frust auf dem Weg in Sachbeschädigung umschlägt. Schlagartig verändert sich die Einsatzlage, Polizeieinheiten müssen umpositioniert werden, sie sind jetzt auf Ausschreitungen gefasst. Es bleibt aber bei kleineren Auseinandersetzungen. 17 Festnahmen und 10 Platzverweise lautet die Bilanz. 99 Anzeigen wurden gestellt, sieben davon wegen gefährlicher Körperverletzung. Das Fanmeilenfinale dürfte für die Polizei eine Art Zugabe werden. PF Sydow jedenfalls hat sich Sonntag freigenommen. Sidney Gennies

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false