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EM-Fieber: Eine Stadt im Ausnahmezustand

Alle zitterten bis zuletzt – und feierten dann begeistert den deutschen Sieg. Auch auf dem Kurfürstendamm tummelten sich wie gewohnt die glücklichen Fans.

"Ja, fahrt nur rum mit euren schwarzrotgoldenen Wimpeln. Nachher habt ihr dazu keinen Anlass mehr." Die vereinzelten Autofahrer, die gestern Abend vor dem Spiel der deutschen Mannschaft gegen Portugal schon hupend und mit wehenden Fahnen über den Asphalt rollten, ernteten eher mitleidige Blicke. Dass sie nur übten für den großen Siegeskorso, der dann ab 22.45Uhr über die zentralen Straßen der Stadt rollen und sie verstopfen sollte, wer glaubte schon daran und an ein Wunder von Basel.

Hat damit jemand - mal ganz ehrlich - gerechnet? Die Fans in der Neuköllner Eckkneipe "Lange Nacht" in der Weisestraße jedenfalls wussten ihr Glück bis zuletzt kaum zu fassen. Noch in den Schlusssekunden, als ja eigentlich alles klar war, wurde gezittert und gebetet, ein ganzer Raum voller Nervenbündel, rund 150 bebende Fußballenthusiasten. Die letzten Sekunden wurden abgezählt, als starte gleich eine Rakete zum Mond, und dann lag man sich auch schon in den Armen, stammelte "unglaublich" oder "ein Unding, aber wahr". Und schon ging es raus ins Freie, zu den anderen Jubelnden, die aus allen Türen zu quellen schienen.

Ein ähnliches Bild auch beim EM-Club "Tante Käthe" am Mauerpark in Prenzlauer Berg, mit einem natürlich auch hier eindeutig auf deutscher Seite jubelnden Publikum, das allerdings nur selten zu schwarzrotgoldener Schminke und ebensolchen T-Shirts gegriffen hatte. Ungläubig fast starrten sie auf die Leinwände, bangend, ob sich das Blatt in der Schweiz nicht doch noch wenden würde.

Die Stadt im Freudentaumel

Schon während des Spiels war von dem urbanen Jungfans im "Tante Käthe" bei jedem gelungenen Pass, jeder Zeitlupenwiederholung gejohlt worden, eine Superstimmung wie wohl überall in der Stadt, deren Straßen während des Spiels gähnend leer waren. Auch im "Fuhrpark" an der Treptower Arena, dem EM-Quartier von Tagesspiegel und "11 Freunde", wurde schon während der ersten Halbzeit von Anfang an mitgejubelt.

Hinterher, nach dem gloriosen Sieg, schien die Stadt wie aus dem Häuschen. Wer irgendeinen Freund in einer Fussballkneipe anrufen wollte, musste bald resignieren. Selbst wenn er ihn erreichte, war übers Handy kaum etwas zu verstehen: ein Riesengebrüll, Tröten, Knallen, Juchzen, Jubeln schwoll aus dem Hörer. Auch auf den Straßen fröhliches Chaos. Hunderte hatten sich gegen 23 Uhr unter der Hochbahn an der Kreuzung Eberswalder Straße Schönhauser Allee versammelt, träumten schon von künftigen Taten der deutschen Elf, riefen begeistert immer wieder "Finale". Auf dem Kurfürstendamm lief zu dieser Zeit gar nichts, oder genauer: Alles lief zu Fuß, kein Korso in Sicht. Die Polizei hatte am Kranzler abgesperrt, der Ku'damm wurde so zur Fanmeile, von einem privat abgebrannten Feuerwerk dekorativ beleuchtet, während sich die Jubelautos über die Lietzenburger Straße quälten. Rasch verschoben sich auch die Fangrenzen. So hatte in Neukölln ein türkischer Autofahrer die Lautsprecher voll aufgedreht, beschallte die Mitbürger mit anatolischen Klängen. Aus dem Fenster aber hingen zwei große deutsche Flaggen.(tabu, CD, S.W., J.O.)

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