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Letzter Schultag. Wenn der Unterricht am Montag nach den großen Ferien wieder losgeht, ist unsere Autorin nicht mehr dabei. Ihre Kinder sind jetzt groß.

© dpa/Frank Rumpenhorst

Ende der Schulzeit: Adieu, Pausenbrot!

Nach 25 Jahren, 4500 Schultagen und drei Abibällen ist die Schulzeit für unsere Autorin vorbei. Ihre Kinder sind groß. Was tut sie, wenn am Montag der Unterricht wieder beginnt – melancholisch werden? Oder endlich mal länger schlafen?

Wecker sind erstaunlich umstellungsfähig. Da stehen sie zweieinhalb Jahrzehnte lang auf Punkt halb sieben – und dann plötzlich irgendwo. Oder nirgendwo. Je nachdem.

Wenn am Montag in Berlin die Schule anfängt, sind wir das erste Mal nicht mehr dabei. Man könnte melancholisch werden. Man könnte die Schultüten vom Dachboden holen und auf ihnen ein paar Tränen vergießen. Man könnte daran denken, wie uns Friseur Alfons 1994 vor seinem Laden in der Lützowstraße auf dem Weg zur Einschulung abpasste, um unserem jüngeren Sohn noch schnell die Haare zu schneiden. Mit der Schultüte in der Hand. Der Junge muss doch ordentlich aussehen, fand Alfons. Man könnte die Hefte mit den ersten Schreibübungen herausholen und sich vorstellen, wie die Kinder damals aussahen mit ihren riesigen Zahnlücken oder den neuen Haarspangen. Wie süß! Wie rührend! Wie zauberhaft!

Was später kam, war nicht immer so zauberhaft. Früh aufstehen war doof. Stress mit den Mitschülern auch. Die Wahl der Oberschule – ein Horror. Mal brauchte man die kürzeste BVG-Strecke, um einen Schulplatz an der auserkorenen Schule zu bekommen, dann waren plötzlich die Noten wichtiger als die Dauer der Busverbindung.

Wir lernten Schulen in Tiergarten kennen und in Neukölln, in Charlottenburg und Großziethen. Das Brandenburger Gastspiel war okay, aber nur bis zur sechsten Klasse: Das nächste zuständige Gymnasium war 20 Kilometer weg und hatte keinen Platz. In solchen Momenten lernt man, Berlin noch mehr zu lieben. Die Stadt mit 900 Schulen. Die Stadt, in deren Schulen man Portugiesisch lernen kann und Japanisch. Der Rück-Umzug nach Berlin ist das Zweitbeste, was man machen kann. Das Beste: Gar nicht erst wegziehen.

Im Kinderzimmer liegen noch alte Hausaufgaben rum, da kommt schon der erste Brief von der Uni

Es ist schön, Schulkinder zu haben. Man schwimmt im Strom der Elternversammlungen und Ferien. Man fühlt sich angesprochen, wenn die Kaufhäuser im Hochsommer ihre Filzstifte anpreisen und ihre Hefte in DIN A4 und DIN A5. Der blaue Hefter für Deutsch, der grüne für Biologie, der rote für Mathe. Man weiß, welche Motive für Schulranzen angesagt sind und wechselt von Dinosauriern zu Flugzeugen. Man findet heraus, welche Trinkflaschen garantiert dicht sind (gar keine), und freut sich, wenn die Kinder das Schulbrot aufgegessen haben. Man spielt hunderte Male Taxi, weil der Bus angeblich schon wieder zu früh weggefahren ist, und freut sich dann tierisch, wenn die Kinder noch vorm Klingeln das Schultor erreicht haben.

25 Jahre, rund 4500 Schultage und drei Abibälle später ist das alles vorbei. Ein paar Schulsachen liegen noch im Kinderzimmer rum, das letzte Referat, ein paar Englisch-Hausaufgaben. Die letzte Schüler-Monatskarte. Dazwischen ein paar Angebote für die Abireise, die längst vorbei ist (Bulgarien! Goldstrand!). Gestern brachte die Post eine Immatrikulationsbescheinigung. Es wird immer klarer. Man hat keine Schulkinder mehr.

Aber von Melancholie noch immer keine Spur. Die Kinder verschwinden ja nicht. Sie bleiben einfach da, weil Berlin ja nicht nur 900 Schulen, sondern auch haufenweise Hochschulen hat. Sie schwirren zusammen mit ihren alten Klassenkameraden ein paar Semester lang in Südkorea, Russland oder Brasilien rum, aber dann kommen sie zurück. Und wenn der Berliner Immobilienmarkt gerade keine bezahlbare Wohnung zu bieten hat, ziehen sie für ein paar Wochen in ihre alten Kinderzimmer ein. Und wenn sie auf den Dachboden gehen, um ihre Koffer wegzubringen, werfen sie vielleicht einen Blick auf ihre alten Schultüten, die dort zusammengequetscht zwischen den Legosteinen liegen.

Zur vollen Wahrheit gehört, dass Schule nie aufhört. Dass die ersten Enkelkinder längst zur Schule gehen und jetzt wieder die Frage ansteht, wie man denn garantiert einen Platz auf der tollsten Oberschule findet (es gibt keine Garantie). Zur Wahrheit gehört, dass sich alles wiederholt. Nur der Wecker, der klingelt nicht mehr um halb sieben. So viel Luxus darf sein.

Dieser Text erschien zunächst als Rant in unserer gedruckten Samstagsbeilage Mehr Berlin.

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