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Energie-Debatte: Berlin kommt ohne Atomkraft aus

Schon heute ist der Anteil der Kernenergie geringer als im Bundesdurchschnitt. Noch grüner als Ökostrom ist Sparsamkeit. Und da gibt es in Berlin noch einiges an Potenzial.

Das Entsetzen über die Atomkatastrophe in Japan bringt viele ins Grübeln: Welche Lehren lassen sich ziehen? Die Bundesregierung hat mit der Abschaltung von eben noch für sicher erklärten Atomkraftwerken die Richtung gewiesen: Jetzt ist der Moment, über unsere Versorgung mit dem Strom nachzudenken: Was lässt sich tun, damit die Atomkraftwerke entbehrlich werden? Auch das Abgeordnetenhaus soll sich in seiner heutigen Sitzung mit dem Thema befassen: Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) will sich im Parlament zur Berliner Energiepolitik äußern. Die ist durch manche Besonderheit geprägt.

Eine Spezialität der Großstadt ist, dass sie mehr Strom verbraucht als produziert: Nach Auskunft von Vattenfall-Sprecher Hannes Hönemann lieferten die zehn Berliner Kraftwerke zusammen mit einheimischen Quellen wie Solaranlagen und Blockheizkraftwerken im Februar 600 Millionen Kilowattstunden. Zusätzlich 590 Millionen wurden importiert, überwiegend aus den Lausitzer Kohlekraftwerken. Im Sommer erhöhe sich der Importanteil auf rund drei Viertel.

Physisch kommt der Berliner Strom also aus der Region – egal, mit welchem der mehr als 100 Anbieter man seinen Vertrag abgeschlossen hat. Doch die Gesamtbilanz ist wie ein See, über dessen Zuflüsse jeder Kunde mitentscheidet: Wer in Berlin einen Tarif mit Atomstrom wählt, lässt damit irgendwo in Deutschland oder Europa ein „Atom-Bächlein“ in den See plätschern. Ökostrom dagegen bedeutet einen sauberen Zufluss. Viele Ökostromkunden säubern also den See. Da im europaweiten Netz mehr Ökostrom als gezielte Nachfrage danach vorhanden ist, kleben viele Anbieter kurzerhand ein Öko-Etikett auf den ohnehin vorhandenen Strom, der beispielsweise seit Jahrzehnten in skandinavischen Wasserkraftwerken produziert wird. Ein ökologischer Zusatznutzen ergibt sich erst, wenn Gütesiegel garantieren, dass auch in den Ausbau erneuerbarer Energien investiert wird. Das Land Berlin beispielsweise bezieht zwar Ökostrom, aber hat die Mehrkosten für zertifizierte Qualität gescheut. Sie hätten ein bis zwei Millionen Euro betragen – bei einer Gesamtstromrechnung von etwa 100 Millionen Euro im Jahr.

Laut einem Beschluss des Abgeordnetenhauses bezieht Berlin seit Jahren keinen Atomstrom für seine Einrichtungen. Marktführer Vattenfall – Anteil in Berlin knapp 80 Prozent – bietet Tarife mit und ohne Kernkraft an. Insgesamt ist der Atomstromanteil des Vattenfall-Stroms mit rund fünf Prozent deutlich geringer als die bundesweiten 22 bis 24 Prozent. Die Berliner Energieagentur (BEA) hat ermittelt, dass die Stadt in zehn Jahren monatlich knapp 140 Millionen Kilowattstunden erneuerbare Energie gewinnen kann. Bezogen auf den Februar-Verbrauch wären das knapp zwölf Prozent. Größter Einzelposten soll die Biomasse sein. Dafür will Vattenfall auch Holzreste aus Afrika einkaufen. Das kann dort neue Konflikte auslösen.

„Deshalb ist Energiesparen besser als jeder Ökostrom“, sagt Ulf Sieberg, Energiereferent beim Naturschutzbund Nabu. Nach einer Hochrechnung der Energieagentur könnten Privathaushalte jeden Monat mehr als 40 Millionen Kilowattstunden sparen: Industrie und öffentliche Hand jeweils 17 Millionen, Handel und Dienstleistung jeweils 12,5 Millionen. Allein das zentrale Berliner Rechenzentrum habe durch Modernisierung seinen monatlichen Strombedarf um 117 000 Kilowattstunden gesenkt. Das entspricht dem Verbrauch von mehr als 500 Haushalten.

Das Umweltbundesamt gibt online ebenso simple wie effektive Spartipps: Effiziente Haushaltsgeräte kaufen, Energiesparlampen nutzen und heimliche Standby-Stromfresser wie DVD-Player durch abschaltbare Steckerleisten vom Netz trennen. Die Waschmaschine braucht bei 40 Grad nur halb so viel Strom wie bei 60, ein Laptop nur ein Drittel eines Desktop-Computers. Unterm Strich ließe sich so ein großer Teil der Atomstrom-Prozente ohne nennenswerten Verlust an Komfort einsparen.

Wer durch die Stadt geht, sieht manch fragwürdigen Stromfresser: Grob überschlagen verbraucht allein die Fassadenbeleuchtung des Sony-Centers pro Nacht mehr Strom als eine Familie im Jahr.

Die S-Bahn dürfte allein durch ihre Ausfälle rund ein Viertel weniger Strom brauchen als vor dem Chaos. Die BVG, mit 430 Millionen Kilowattstunden ebenfalls ein Großverbraucher, bezieht nach eigener Auskunft gut 60 Prozent ihres Stroms aus erneuerbaren Quellen. Auf die Diskussion, wie viel sich beispielsweise durch langsamere U-Bahnen sparen ließe, lässt sich die BVG nicht ein: Nur ein schneller Nahverkehr hole die Leute vom Auto weg. Dieser Vorteil sei ungleich größer.

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