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Volles Rohr. Nur noch wenige Hochspannungsleitungen verlaufen in Berlin an Masten. Auch die großen Kabel werden nach und nach in unterirdische Kanäle verlegt.

© Mike Wolff

Energienetze: Staat oder privat: Wer bekommt das Stromnetz?

Vattenfall investiert – und hofft, dass das Land dem Konzern nicht die Leitungen wegnimmt. Berlin hätte die Chance, denn bald endet der Vertrag. Es geht um ein Milliardengeschäft.

Die offizielle Botschaft, die Vattenfall am Dienstag vor der Presse verkündet hat, geht so: 260 Millionen Euro steckt der Energiekonzern in diesem Jahr ins Berliner Stromnetz, damit die Hauptstädter zuverlässig mit Elektrizität versorgt werden und unschöne Hochspannungsmasten aus ihrem Blickfeld verschwinden. Von den noch vorhandenen 71 Kilometern Hochspannungsfreileitungen sollen bis 2016 zehn entfernt werden.

Die eigentliche Botschaft hinter dieser Investitionszusage allerdings lautet: Bei Vattenfall ist das Stromnetz in so guten Händen, dass es bitte schön auch für weitere 20 Jahre dableiben soll. Sicher ist das allerdings nicht, weil der sogenannte Konzessionsvertrag fürs Stromnetz Ende 2014 ausläuft, der für Gas sogar schon ein Jahr früher. Für das Land bedeutet das die Möglichkeit, die Netze ganz oder teilweise wieder in kommunale Obhut zu nehmen. Fürs Gasnetz – es gehört zurzeit der Gasag-Tochter NBB – interessiert sich die Politik dabei allerdings nicht so sehr wie für die 36 000 Kilometer Stromleitungen und 80 Umspannwerke in der Stadt.

Laut Koalitionsvertrag wollen SPD und CDU mit der Neuvergabe der Konzessionen „mit Nachdruck Einfluss auf die Rahmenbedingungen der Strom- und Gasversorgung als öffentliche Daseinsvorsorge nehmen“. Denkbar sei auch eine kürzere Laufzeit als die bisherigen 20 Jahre. Ziel sei, „mehr Einfluss auf die Strukturen, die Preis-, Investitions- und Unternehmenspolitik des zukünftigen Verteilnetzbetreibers zu nehmen“.

Was das konkret heißt, und wieviel Steuergeld es wert sein soll, prüfen die Regierungsparteien noch: Die SPD hat eine „Arbeitsgruppe Daseinsvorsorge“ eingesetzt, die sich laut ihrem Chef, dem Abgeordneten Daniel Buchholz, „ergebnisoffen die Fakten anschauen“ und im Sommer positionieren will. Auch CDU-Energiepolitiker Michael Garmer meldet: „Wir sind mitten in der Diskussion.“

Die Linken haben sich schon für die Rekommunalisierung entschieden, wie Landeschef Klaus Lederer sagt: Bei einer ehrgeizigen Energiestrategie des Landes „wird der Erzeuger fossiler Energie sukzessive überflüssig“. Das könne nicht im Interesse von Vattenfall mit seinen Gas- und Kohlekraftwerken sein. Zwar müsste das Land für die Übernahme zahlen, aber die Rendite sei dank der Netzgebühren sicher. „Und wenn ein privates Unternehmen dieses Netz lukrativ betreiben kann, kann es auch die öffentliche Hand.“

Ein Volksbegehren zum Rückkauf der Stromnetze ist bereits in der Vorbereitung.

Da die Bundesnetzagentur die Gebühren für den Stromtransport bis ins Detail reguliert, ist der Netzbetrieb eine zwar gedeckelte, aber sichere Einnahmequelle. Renditen um sechs Prozent gelten als realistisch. Das Land verdient an der Konzessionsabgabe mit. Laut Vattenfall erhält Berlin den möglichen Höchstsatz – 137 Millionen Euro im Jahr. Wie viel die Vattenfall-Netzgesellschaft jährlich an die Konzernmutter nach Schweden überweist, ist nicht zu erfahren. Aber für den Wert des Berliner Netzes nennt Geschäftsführer Helmar Rendez drei Milliarden Euro „als grobe Hausnummer“.

Der tatsächliche Wert müsste von Gutachtern und Gerichten geklärt werden. Ein Indiz liefert Hamburg, das sich für 544 Millionen Euro 25,1 Prozent an Netzen und Anlagen gesichert hat. Für Berlin lässt sich daraus schließen, dass ein Komplettkauf ähnlich teuer würde wie die Rekommunalisierung der Wasserbetriebe, deren Rendite jedoch höher liegt.

Bisher hat Berlin nur das Auslaufen der Konzessionsverträge in Bundesanzeiger und EU-Amtsblatt verkündet. Daraus resultiert noch keine Pflicht zur Ausschreibung, bei der Gasag und Vattenfall als Platzhirsche wohl gute Chancen hätten. Als weitere Bewerber kämen Interessenten aus der Energiebranche und langfristig orientierte Anleger großer Kapitalmengen infrage. Interessenten können sich nach Auskunft der Finanzverwaltung bis 16. April melden. Der endgültige Zuschlag dürfte vermutlich irgendwann im nächsten Jahr erteilt werden.

Der Druck auf die Politik dürfte dagegen schon bald zunehmen, denn ein „Energietisch“ plant ein Volksbegehren zum Rückkauf der Netze und zum Aufbau eines „Klimastadtwerks“ aus vielen kleinen Ökostromlieferanten. Letzteres fordern auch die Grünen, die sich im März genauer positionieren wollen.

Hinter der Forderung nach kommunalem Einfluss steht die Überlegung, dass das Stromnetz nicht mehr nur die Energie vom Kraftwerk zur Steckdose bringt, sondern ein Verbund zwischen vielen dezentralen Abnehmern und Einspeisern – vom Blockheizkraftwerk im Keller über Solaranlagen auf dem Dach bis zum Elektroauto in der Garage –, das bei großer Stromnachfrage an windstillen, bewölkten Tagen einen Teil seiner Batterieladung ins allgemeine Netz abgibt.

Allerdings arbeitet die Vattenfall-Netzgesellschaft bereits an diesem Umbau. Gezwungenermaßen, denn die Netzbetreiber sind verpflichtet, alle Windräder und Solaranlagen anzuschließen. In Berlin erzeugen 3500 Anlagen Sonnenstrom.

Eine weitere gute Nachricht in eigener Sache reichte der Konzern am Dienstagnachmittag nach: Der Kundenservice mit 850 Mitarbeitern, davon 500 in Berlin, wird doch nicht ausgelagert. Dafür hätten die Arbeitnehmervertreter Sparmaßnahmen und Stellenabbau akzeptiert.

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