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Berlin: Engel für alle Tage

Der Reformist Johannes machte ihn zum Gesellen, der Heilige Cyriakus ließ ihn Meister werden. Was ein Vergoldermeister und Fassmaler kann und macht, zeigt Markus Dengg jetzt in Charlottenburg

Er hat lange gesucht. Markus Dengg wollte sich immer gerne auf seine „goldenen Finger“ sehen lassen. In der Bornholmer Straße in Prenzlauer Berg arbeitete der Neu-Berliner in einer Wohnung als Werkstatt. Der Nachteil: Da konnte niemand zusehen. Jetzt hat es mit einem eigenen Laden endlich geklappt. Seit 1997 übt der junge Mann in Berlin ein fast ausgestorbenes Handwerk aus, als Vergoldermeister und Fassmaler. In der Nachbarschaft von Massage, Buchhandel und der „Ersten Produktionsstätte der Currywurst“ der Firma Maximilian hat Markus Dengg in der Pestalozzistraße 105 sein neues Atelier für Vergoldung eröffnet.

Aus den Schaufenstern blicken seither der Reformist Johannes und der Heilige Cyriakus fromm ergeben auf das, was wie in Prenzlauer Berg auch im feineren Charlottenburg vor den Gründerzeitfassaden en masse liegt – Hundekacke. So was kannte Markus Dengg aus Süddeutschland nicht, „dort wird das ordentlich mit der Tüte aufgenommen“, erinnert sich der 34-Jährige an saubere bayrische Zeiten.

Trotzdem zieht es den jungen Mann nicht zurück. In seinem „Atelier für Vergoldung, Dekorationsmalerei, Restaurierung und Kunst“ zeigt er schon im Schaufenster, was er kann: Die barocke Figur des Johannes ist sein Gesellenstück; mit der gotischen Darstellung des Heiligen Cyriakus wurde er Meister. An dem goldenen Hecht, der im Laden vor dem versilberten Nachguss eines Barockspiegels glänzt, demonstrierte Markus Dengg zur Eröffnung sein seltenes Handwerk. Das hat der 34-Jährige vom Bodensee von der Pike auf gelernt. Er wollte handwerklich und kreativ zugleich arbeiten. Und irgendwie wollte er auch der Familientradition trotzen – Arzt hätte Markus Dengg danach werden müssen.

Stattdessen lernte er in einem Kirchenrestaurierungsbetrieb bei Ulm Vergolder und Fassmaler. Dass ein solcher keine Fässer bemalt, sondern das die uralte Berufsbezeichnung für einen ist, der alles in Farbe fasst, was damit gestaltet werden kann – zum Beispiel Figuren, Möbel, Altäre, Wände, Rahmen – das lernten inzwischen schon etliche in seinem Atelier. Er zeigt das auch an Beispielen. Da gibt es Marmorimitationen zu bewundern, prunkvolle Bilderrahmen und Muster mit zartester ornamentaler Malerei. Der hintere Raum des Ateliers leuchtet im berühmten Schinkelschen Ultramarinblau bis auf die wintergraue Straße heraus. Wer reinkommt, sieht auch die goldenen Ornamente auf dem unglaublichen Blau – wie alle Farben ist auch diese selbst gemischt. An der Decke zeigt figürlicher Stuck seine ursprüngliche Farbe und Schönheit – die fast ein Jahrhundert lang darauf gepinselten weißen Schichten trug er mit Monika Lentz in wochenlanger mühevoller Arbeit ab.

Die junge Frau lernt bei ihm als Umschülerin. Drei Arten der Vergoldung muss sie beherrschen – dass sie schon viel gelernt hat, zeigen auf dem großen Arbeitstisch zwei liebreizende pausbäckige Engelsköpfe. Antik sehen sie aus mit ihren lebensecht bemalten Stupsnasengesichtern und den vergoldeten Flügeln. Die holzgeschnitzten Rohlinge für die engelhafte Weihnachtsproduktion bezieht Dengg aus Südtirol und Bayern, andere gießt er selbst aus Gips.

Was er aber auch macht, vergoldet oder bemalt, restauriert oder kopiert – alles sieht echt und uralt aus und damit eigentlich sehr teuer. Ist es aber nicht, sondern bezahlbar. Auch das will der junge Vergoldermeister über sein Handwerk vermitteln, das schon im alten Ägypten ausgeübt wurde und das er selbst in der Münchener Meisterschule vollendet hat.

Preußische Schlösser wie Rheinsberg, Oranienburg und Königs Wusterhausen haben schon von dem süddeutschen Zuzug nach Berlin profitiert. Auch das Jüdische Museum, für das Markus Dengg Bilderrahmen restaurierte und neue anfertigte. In seinem neuen Atelier in Charlottenburg hofft er nun auch auf private Kundschaft. Solche, die den Rahmen um das Bild von der Oma restaurieren lassen wollen oder das langweilige Weiß ihrer heimischen vier Wände satt haben. Die pausbäckigen und lockigen Himmelsboten gibt es übrigens nicht nur zu Weihnachten in der Pestalozzistraße. Einen Engel kann man immer brauchen – zumal oder vor allem in Berlin.

Heidemarie Mazuhn

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