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Berlin: Entdecken, was in den Köpfen steckt

Schüler werden in Berlin zu wenig gefordert, sagt Pisa-Forscher Prenzel. Sonst wären sie in Mathe ebenso gut wie im Problemlösen

Warum sind die Berliner Jugendlichen beim Pisa-Ländervergleich so gut im Problemlösen – obwohl sie vergleichsweise schlecht rechnen und schlecht lesen? Auch Bildungssenator Klaus Böger (SPD) ist ratlos: „Ich frage mich, wie das zusammengeht.“

Manfred Prenzel, Leiter des deutschen Pisa-Konsortiums, hat eine Erklärung: Die Berliner Schüler schöpfen ihr Potenzial nicht richtig aus. Wenn sie in den Schulen mehr gefordert würden, wären sie auch in den Grundtechniken Mathematik und Lesen besser. „Wenn man sieht, wie gut viele Länder, darunter auch Berlin, beim Problemlösen abschneiden, müssten sie auch bessere Ergebnisse in Mathematik und Naturwissenschaften erzielen“, sagt Prenzel.

Beim Pisa-Test sind die Berliner in Mathematik auf Platz 13 der 16 Bundesländern gelandet, was auch im internationalen Vergleich ein sehr schlechtes Ergebnis ist. Berlin liegt zwischen Polen und Spanien und weit unterhalb des OECD-Durchschnitts. Ganz anders sieht es beim Problemlösen aus, das als Kompetenzbereich zum ersten Mal getestet wurde: Hier erreichen die Berliner Platz sieben und liegen damit sogar fast über dem OECD-Durchschnitt. Auch Hauptschüler können gut Probleme lösen, während bei den Naturwissenschaften in Berlin die Kluft zwischen Spitzen- und so genannten „Risikoschülern“ in den Hauptschulen besonders groß ist.

„Dass die 15-Jährigen in Berlin so gut Probleme lösen können, hat sicher mit ihrer Alltagstauglichkeit zu tun. Sie müssen zu Hause mit anfassen“, sagt Prenzel. Bei den Aufgaben zum Problemlösen sei es wichtig, dass die Schüler organisieren und in Zusammenhängen denken können und Wissen aus verschiedenen Bereichen anwenden (siehe Beispielaufgabe). Die Denkfähigkeit spiele dabei eine ähnlich große Rolle wie in Mathematik und den Naturwissenschaften, sagt Prenzel. Und wer diese Fähigkeiten beim Problemlösen unter Beweis stelle, müsste sie eigentlich auch in den anderen Fächern anwenden können. Der Bildungsforscher folgert, dass es im Unterrricht offenbar ein „Umsetzungsproblem“ gibt. Prenzel macht dafür vor allem das Lernklima im Land verantwortlich. „In Deutschland werden stereotype Bilder von Schülern aufgebaut, denen man nichts zutraut.“ Oft würden nur geringe Anforderungen an die Kinder gestellt – anstatt sie zu fordern und vielleicht auch mal zu überfordern. Diese Einstellung müsse sich ändern. „Die Aufgabe der Schulen ist es jetzt, zu erkennen, dass einfach mehr drinsteckt in diesen Kindern.“

Bildungssenator Klaus Böger wollte diese Erkenntnisse gestern nicht kommentieren, er will den detaillierten Forschungsbericht von Prenzel und dessen Pisa-Kollegen abwarten, der im November vorgestellt werden soll. „Aber er werde sich den Zusammenhang zwischen guter Problemlösekompetenz und schlechten Mathe-Ergebnissen „sicherlich genau ansehen“.

„Prenzels Erklärung ist sehr plausibel“, sagt Karla Werkentin. Sie leitet die Heinz-Brandt-Oberschule in Weißensee. „Auch in den Köpfen der Hauptschüler steckt sehr viel, aber es ist schwer, das oft Versteckte im Unterricht herauszuholen.“ Denn schon allein durch die Tatsache, dass sie es nicht auf eine Realschule geschafft haben und auf die Hauptschule gehen, würden viele schon mit 12 Jahren denken: „Ich kann nichts“. Um ihnen Selbstbewusstsein zu vermitteln, müssen die Kinder der Brandt-Schule bereits in der siebten Klasse gemeinnützige Aufgaben im Kiez übernehmen. Da seien viele erstaunt, dass sie doch etwas leisten können – und trauen sich auch im Unterricht mehr zu. „Man muss die Jugendlichen mehr bei ihren eigenen Interessen abholen“, sagt CDU-Bildungsexperte Gerhard Schmid. Warum nicht auch in Deutsch ein Problem aus dem Alltag vorgeben, die Schüler selbst Lösungen suchen lassen und dann daran anknüpfen, fragt der frühere Schulleiter. Lehrer müssten sich mehr als Entdecker verstehen, denn als Helfer. Entdecker dessen, was in den Kindern steckt.

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