zum Hauptinhalt

Berlin: Entdeckungstour mit Esel: "Ich war so eine Art Vagabund"

Manche Bücher kommen nie aus der Mode. Herbert Melvilles "Moby Dick" gehört dazu oder auch "Die Schatzinsel" von Robert Louis Stevenson.

Manche Bücher kommen nie aus der Mode. Herbert Melvilles "Moby Dick" gehört dazu oder auch "Die Schatzinsel" von Robert Louis Stevenson. "Das sind Bücher, die uns zum Reisen bringen", schwärmt Lorenz Schröter und meint damit selbstverständliche nicht den zweiwöchigen Pauschalurlaub. Für den 40-jährigen Berliner ist das Reisen schon lange Passion. Eine zweijährige Radtour durch Europa, Nordafrika, Asien und Mittelamerika hatte er vor Jahren schon absolviert, was also konnte er noch entdecken? Deutschland, zum Beispiel.

Das könnte auf Schusters Rappen spannend genug werden, aber der Journalist Lorenz Schröter mochte es ungewöhnlicher. Für zweitausend Mark kaufte er sich einen Esel und zog los. Von Horbruch im Hunsrück über Orte wie Boppard, Niederbiesheim und Schermcke bis nach Friedensweiler. 700 Kilometer in einem Monat. Was er dabei erlebte, kann man nun in dem Buch "Mein Esel Bella oder wie ich durch Deutschland zog" (Rotbuch Verlag, 28 DM) nachlesen.

Ein wenig bequemer hatte er sich das Unternehmen anfangs schon vorgestellt, aber ein Esel ist nun mal kein Pferd, das sich klaglos satteln lässt. Überhaupt sah das Tier, im Gegensatz zu seinem neuen Herren, wenig Sinn darin, vorwärtszukommen. Störrisch ignorierte es die freundlichen Weisungen "Mach schon, Bella" und ließ sich nur mit Mühe weiterzerren. Lorenz Schröter, der - das Wandern nicht gewöhnt - bald schmerzende Füße hatte, ist rückblickend froh über die unvorhergesehenen Strapazen. "Wenn man mit körperlicher Anstrengung reist, erlebt man Landschaften intensiver", sagt er.

An jeden Tag könne er sich nun erinnern, an jede Kreuzung und jeden Rastplatz. Zum Beispiel an das "verdorrte Stück Wiese an einer Kreuzung in Gernrode", wo er schon mal davon träumte, "chinesisch zu kochen". In der deutschen Provinz, so lernte er bei der Einkehr in Gasthöfen, gibt es vor allem "Riesenschnitzel mit viel Soße". Der Esel findet am Wegesrand abwechslungsreichere Kost und wird auf Reiterhöfen, wie Schröter betont, immer gratis versorgt. Überhaupt seien alle Leute nett gewesen, wenn man denn welchen begegnet sei. "Die Dörfer waren leer" sagt er und vermutet, dass die Menschen vielleicht vor dem Fernseher, am Computer, oder, nun ja, hinter der Gardine saßen.

"Für die Leute war ich so eine Art Vagabund", sagt Schröter. Um so einen hätte man vielleicht einen Bogen gemacht, aber da war ja Bella. Viel erzählt der Autor im Buch von dem Tier, wo wir doch so gern mehr über die Menschen erfahren hätten. Ein paar Begegnungen gibt der Autor wieder, schildert Männer "mit teigigem Gesicht und dem Teint von Bluthochdruck" und Damen, die "wie zusammengesackte Tortenstücke" aussehen.

Der "Thüringer Hof" mit seinen Bleiglas-Butzenscheiben, "wo man sich mit dem Bügeln der Tischdecke mehr Mühe macht als mit dem lieblosen Kraut-und Rübensalat", steht stellvertretend für viele Dorfgaststätten. Schaudernd erinnert sich der Reisende an Kennzeichen typisch deutscher Gemütlichkeit: "Doppelhaushälften, Spannbettlaken, Weißsticktücher und blümchengemusterte, altrosa Sofadecken." Die Landschaft versöhnte, und von ihr schwärmt Schröter im Buch zum Beispiel so: "Goldflaumige Stoppelfelder gießen sich über die Täler und lang gestreckte Hügelzüge, ausgebreitet wie eine sonnenbadende Frau."

Leben die Menschen in Hessen anders als in Thüringen? Solche Unterschiede habe er nicht gesucht, sagt der Reisende und schiebt nach: "Die einen rauchen Marlboro, die anderen f 6." Von Freundschaften mit thüringischen Holzfällern und Bierbrauern erzählt er, deren Lebenserfahrungen wir im Buch vergeblich suchen. Dafür erfahren wir immer mal wieder, was der Autor selbst denkt und fühlt und dass er etwa "die Entfremdung zwischen mir und einem Heubündel in meiner Hand überwinden" will.

Lorenz Schröter ("die Straße hört nie auf") will weiterreisen. Längst hat er neue Projekte geplant und träumt von einer Bergbesteigung. Mit Handy wahrscheinlich, wie bei der Tour mit der vierbeinigen Gefährtin. Die Idee zu der Reise hatte übrigens Robert Louis Stevenson geliefert. Der war seinerzeit mit Eselin Modestine durch die Cevennen gezogen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false