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Entlassene Mai-Demonstranten: Rätselraten über Haftentlassung

Nach der plötzlichen Haftentlassung der beiden jugendlichen Demonstranten des 1. Mai herrscht Rätselraten in Justiz- und Sicherheitskreisen.

Von Frank Jansen

Es sollte ein Pilotverfahren sein, das erste mit einer Verurteilung von Mai-Randalierern wegen versuchten Mordes. So hatte es sich die Staatsanwaltschaft vorgestellt, und es war auch lange zu erwarten, dass Yunus K. (20) und Rigo B. (17) eine harte Strafe bekommen, weil sie für den Wurf einer Brandflasche bei den Krawallen in Kreuzberg verantwortlich sein sollen. Doch dann nahm der Prozess eine jähe Wende, die niemand prophezeit hätte. Die Jugendkammer hob, wie berichtet, am Donnerstag überraschend die Haftbefehle gegen K. und B. auf.

Der dringende Tatverdacht liege nicht mehr vor, lautet der zentrale Satz der dürren Begründung für den Sinneswandel. Die Kammer konnte „Zweifel nicht überwinden“, K. und B. seien am 1. Mai von den Hauptbelastungszeugen – drei Polizisten – mit anderen Personen verwechselt worden. Das hatte die Verteidigung seit Prozessbeginn im September stets vorgetragen, ohne die Richter bewegen zu können, den Haftbefehl aufzuheben.

Am Donnerstag war alles anders. Seitdem wird in Justiz- und Sicherheitskreisen heftig diskutiert, was die Richter veranlasst haben könnte, die beinharte Haltung aufzugeben. Am 17. November hatte die Kammer noch in einem elfseitigen Beschluss die Aufhebung des Haftbefehls abgelehnt. Eine These wird von allen Fachleuten unisono vertreten: In der fünfköpfigen Jugendkammer dürfte es heftige Debatten gegeben haben. Zuletzt könnte sich bei einer Abstimmung die „Fraktion“ durchgesetzt haben, die schon länger bezweifelt, dass Yunus K. und Rigo B. der Wurf einer Brandflasche bei den Krawallen in Kreuzberg sicher nachzuweisen ist. Einige Vermutungen passen zu Beobachtungen des Tagesspiegels, wonach die Vorsitzende Richterin der Kammer, Petra Müller, unbeeindruckt von den vielen Hinweisen der Verteidigung zu Widersprüchen in Zeugenaussagen schien – während die Fragen der Beisitzenden Richterin sowie die Mimik der Schöffen Zweifel signalisierten. Die Kammer selbst kann man nicht fragen, wie intern debattiert wird, das unterliegt dem Beratungsgeheimnis.

In Justiz- und Sicherheitskreisen wird zudem vermutet, die Richter könnten die Flucht nach vorn angetreten haben, da von der nächst höheren Instanz Widerspruch zu befürchten war. Dem Kammergericht lag ein Antrag der Mutter von B. auf Haftverschonung vor. Eine positive Antwort war vorstellbar, da fraglich erschien, ob die seit Mai andauernde Untersuchungshaft der jungen Angeklagten noch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprach.

Eine Verschwörungstheorie, die nahezuliegen scheint, schließen Experten allerdings einmütig aus. Dass der Landgerichtspräsident oder sogar Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD) die Richter beeinflusst haben, sei „eine abwegige Idee“, heißt es. Frank Jansen

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