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Gefangene Träume. Das Gelände des einstigen DDR-Kinderheims in Johannisthal, fotografiert im Mai 2013.

© Kitty Kleist-Heinrich

Entschädigung für ehemalige Heimkinder: Noch heute zittern die Hände

Viel mehr Betroffene aus dem Osten als erwartet beantragen Zahlungen: Der Entschädigungs-Fonds für ehemalige Heimkinder ist aufgebraucht - und die Berliner Anlaufstelle kommt mit der Arbeit nicht hinterher.

Die Scheu vieler ehemaliger Heimkinder ist groß. Sollen sie einen Antrag auf Entschädigung stellen und zugeben, dass sie als Kinder gedemütigt und misshandelt wurden? Riskieren, dass die unschönen Szenen wieder hochkommen?

Erika Eckstorff und Marion Nagler gehen auf die 70 zu. Als Waisenkinder haben sie in den 1950er Jahren im Ost-Berliner Kinderheim Königsheide in Johannisthal gelebt; sie wurden gedrillt und drangsaliert. „Bestraft wurde alles“, erzählt Marion Nagler. „Es reichte aus, einen Wunsch zu äußern.“ Noch heute zittern ihre Hände, wenn sie von ihrer Zeit im Heim spricht.

Die beiden überwanden ihre Scheu und beantragten vor zwei Jahren in der Berliner Anlaufstelle für ehemalige Heimkinder Entschädigung. Sie hatten Glück, dass sie so früh dran waren. Denn der 2012 von der Bundesregierung und den ostdeutschen Ländern aufgelegte Fonds „Heimerziehung in der DDR“ in Höhe von 40 Millionen Euro ist aufgebraucht.

In der Berlinder Anlaufstelle in Friedenau haben sich in den vergangenen zwei Jahren 750 Betroffene aus dem Westen gemeldet und 2100 aus Ost-Berlin – viel mehr als erwartet. Herbert Scherer und sein Team aus sechs haupt- und zwölf ehrenamtlichen Mitarbeitern kommen nicht hinterher. Der nächste Beratungstermin ist in einem Jahr frei. Eine Zweigstelle in Prenzlauer Berg und drei neue Mitarbeiter sollen ab März Abhilfe schaffen. Dafür hat der Senat Geld bewilligt.

Unklar ist, mit wie viel Geld die Bundesregierung und die ostdeutschen Länder den aufgebrauchten Fonds für die DDR-Heimkinder aufstocken wollen. Am heutigen Mittwoch soll eine Entscheidung fallen. Voraussichtlich werden weitere 200 Millionen Euro gebraucht. Die Politiker überlegen nun, die Bedingungen einzuschränken und den ostdeutschen Betroffenen statt der 10 000 Euro an frei verfügbaren Sachleistungen nur noch Therapien oder Qualifizierungsmaßnahmen zu bezahlen.

Erika Eckstorff schüttelt den Kopf. „Therapie? Wenn ich das Wort schon höre, könnte ich davonlaufen.“ Für sie sei das nichts. Sie ist mit dem Geld aus der Entschädigung in Kur gefahren, hat sich Möbel gekauft und das geliebte Wohnmobil reparieren lassen. „Jetzt fühle ich mich richtig wohl“, sagt sie. Genauso wichtig wie das Geld sei das Gefühl gewesen, endlich ernst genommen und nicht mehr abgestempelt zu werden. „Hier in der Anlaufstelle wurde mir die Angst genommen.“ Wenn die Politik ihre Versprechen von 2012 nicht halte, würde das gerade aufgebaute Vertrauen wieder zerstört, sagt Erika Eckstorff.

Der Fonds für die ehemaligen westdeutschen Heimkinder ist mit 120 Millionen Euro ausgestattet, von denen erst gut die Hälfte abgerufen wurden. Die Einschränkungen würden also nur die ehemaligen DDR-Heimkinder betreffen. „Eine solche Ungleichbehandlung wäre fatal“, sagt Erika Eckstorff. „Das wäre eine neue Demütigung.“

„Wir sagen den Betroffenen immer: Ihr könnt euch auf uns verlassen“, sagt Herbert Scherer, der Leiter der Anlaufstelle. Er sieht die Glaubwürdigkeit gefährdet. Sein Vorschlag: Die Betroffenen in West und Ost sollen wählen, ob sie Sachleistungen für 10 000 Euro beantragen, die sie wie auch jetzt schon einzeln abrechnen müssen. Oder sie nehmen einen geringeren Pauschalbetrag, den sie ausgeben können, wie sie wollen. Scherer wünscht sich eine rasche Entscheidung: „Die Verunsicherung der Betroffenen ist groß“, sagt er. Das aber sei das Gegenteil dessen, was man erreichen wollte.

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