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Weltweit im Einsatz gegen das Coronavirus. Ärzte ohne Grenzen, hier in Venezuela.

© AFP

Epidemiologin über das Coronavirus: „Es werden weitreichendere Maßnahmen als bei Ebola nötig sein“

Anna Kühne erlebte als Epidemiologische Beraterin für Ärzte ohne Grenzen den Ebola-Ausbruch in Westafrika. Ein Gespräch über Lehren für Covid-19 und Gefahren für afrikanische Staaten.

Anna Kühne ist Epidemiologin und Ärztin. Sie arbeitet als Epidemiologische Beraterin für Ärzte ohne Grenzen im Berliner Büro. 2014 erlebte Kühne in einem dreimonatigem Einsatz für Ärzte ohne Grenzen den Ebola-Ausbruch in Liberia. Zuvor hatte die 38-Jährige bereits epidemiologisch in Sierra Leone, Äthiopien, Nigeria und der Zentralafrikanischen Republik gearbeitet.

Frau Kühne, inwieweit erinnert sie die derzeitige Situation in Berlin an Ihren Ebola-Einsatz in Liberia und Sierra Leone?

Einige Aspekte erinnern durchaus an die Situation in Westafrika. Auch dort gab es teilweise Ausgangssperren, Grenzschließungen, Versammlungsverbote und häusliche Quarantänen. Ebola überträgt sich aber nur über Körperflüssigkeiten, also durch direkten Kontakt mit  Urin, Kot oder Blut. Bei Covid-19 reichen das Vermeiden von Körperkontakt und Händeschütteln nicht, es handelt sich um eine Tröpfcheninfektion. Diese werden zum Beispiel beim Husten in die Umgebungsluft abgegeben. Es werden deshalb weitreichendere Maßnahmen als bei Ebola nötig sein.

Welche sozialen Auswirkungen hatten die monatelangen Beschränkungen für die Bevölkerung?

Es gab eine enorme Verunsicherung in der Bevölkerung, Informationen aus den Medien wurden sehr skeptisch aufgenommen. Es kursierten – ähnlich wie jetzt – Falschmeldungen, die zu Unzufriedenheit und Angst führten. Es gab in der Bevölkerung aber auch eine große Bereitschaft, die Maßnahmen mitzutragen, das soziale Leben einzuschränken, Kontaktpersonen zu finden und unter Quarantäne zu stellen.

Dr. Anna Kühne hat bereits in verschiedenen afrikanischen Ländern gearbeitet.
Dr. Anna Kühne hat bereits in verschiedenen afrikanischen Ländern gearbeitet.

© promo

Ebola überträgt sich weniger schnell als das Coronavirus, ist aber tödlicher. Kann man aus der Epidemie etwas für die heutige Situation lernen?

Es ist wichtig, frühzeitig korrekte und verständliche Informationen auf geeigneten Wegen an die Bevölkerung weiter zu geben und mit der Bevölkerung in einem Dialog zu treten, welche Maßnahmen man jetzt gemeinsam ergreifen kann. Außerdem ist es wichtig die medizinische Grundversorgung weiterhin zu gewährleistet und medizinisches Personal zu schützen. Wir haben während des Ebola-Ausbruchs die Erfahrung gemacht, welche dramatischen Folgen es hat, wenn Gesundheitssysteme zusammenbrechen. Menschen mit anderen Krankheiten, wie Malaria, Dengue-Fieber, Masern oder Meningitis wurden zum Teil nicht mehr behandelt und starben. Auch das Klinik-Personal wusste nicht, wie es sich schützt oder hatte keine adäquate Schutzkleidung zur Verfügung. Viele haben sich selbst infiziert, andere hatten Angst und kamen nicht mehr zur Arbeit. Die Gesundheitssysteme zu stützen, wird auch dieses Mal die wichtigste Aufgabe sein – in Projektländern, aber auch in Europa.

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Als Ärztin haben sie in mehreren afrikanischen Ländern gearbeitet. Wie sind diese Staaten auf eine Pandemie vorbereitet?

Viele Gesundheitssysteme sind sehr fragil, eine Ausbreitung des Coronavirus könnte dort fatale Folgen haben. Einige Länder, die von Ebola betroffen waren, haben bessere Strukturen und mehr Erfahrung. Unsere Aufgabe ist es jetzt, mit den Projektländern Strategien zu entwickeln und in Krankenhäusern Hygiene- und Infektionsschutzmaßnahmen vorzubereiten und zu verbessern.

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Die Hälfte des Personals von Ärzte ohne Grenzen stammt aus Europa. Geht von denen nicht eine größere Gefahr aus, wenn sie in Länder geschickt werden, wo sich das Virus noch nicht verbreitet hat?

Das ist ein Problem, zudem haben manche Länder ihre Grenzen geschlossen – sogar für medizinisches Personal. Bei Ärzte ohne Grenzen werden unsere externen Mitarbeiter bei Ankunft im Einsatzland deshalb aktuell für 14 Tage unter Quarantäne gestellt. Nur acht Prozent unserer Mitarbeiter in den Projekten sind aber Expats, der größte Teil der Arbeit wird von lokalen Kräften geleistet. Personal ist aber nur eines von mehreren Problemen, die wir aktuell haben.

Welche gibt es noch?

Wir haben Sorge, dass es zu Engpässen kommen könnte, wenn essentielle Medikamente nicht mehr in ausreichendem Umfang produziert werden können, außerdem ist der internationale Warenverkehr beschränkt. Wir haben zwar ein großes Lager, aber die Lieferketten für Atemmasken, Schutzkleidung und andere Ausrüstung sind teils unterbrochen. Zudem ist es derzeit nur schwerlich sicherzustellen, dass medizinische Ausrüstung auch wirklich ankommt. Selbst innerhalb von Europa werden Ladungen einbehalten und aus Europa heraus gibt es Exportbeschränkungen. Diese Krise kennt aber keine Grenzen. Wir werden nur erfolgreich sein, wenn wir solidarisch mit Medikamenten und Schutzausrüstung umgehen.

Ärzte ohne Grenzen arbeitet in rund 70 Ländern weltweit. Wenn nun überall Hilfe benötigt wird, worauf fokussiert man sich dann?

Ärzte ohne Grenzen richtet die Hilfe grundsätzlich nach den medizinischen Bedürfnissen der Menschen aus, für die wir arbeiten und danach, wo wir mit unserer Arbeit am meisten bewirken können. Wir sind sehr besorgt um die Menschen in Ländern mit fragilen Gesundheitssystemen wie dem Jemen oder die Zentralafrikanische Republik. In vielen unserer Einsatzländer gibt es nur wenige medizinische Akteure, die eine große Zahl Patienten intensivmedizinisch versorgen könnten. Wir werden sicherstellen, dass wir unsere Patientinnen und Patienten auch weiter versorgen, und unsere Teams bestmöglich auf Ausbrüche von Covid-19 vorbereiten. Doch unsere Ressourcen sind natürlich begrenzt. Die Reaktion auf diese Pandemie muss eine internationale sein. Regierungen weltweit, die WHO, Pharmakonzerne und weitere Akteure müssen an einem Strang ziehen, um besonders vulnerable Gruppen und fragile Gesundheitssysteme zu schützen.

In Italien unterstützt Ärzte ohne Grenzen drei Krankenhäuser in besonders betroffenen Regionen. Ist das auch in Deutschland vorstellbar?

Es gibt darüber aktuell intern Gespräche, aber noch keine Entscheidung. Wir haben schon jetzt ein Augenmerk auf besonders gefährdete Gruppen in Deutschland. Als Gesellschaft müssen wir besonders vulnerable Gruppen wie beispielsweise Obdachlose und Geflüchtete schützen.

Reichen die Schutzmaßnahmen, die wir nun in Deutschland haben?

Das kann ich aktuell nicht zweifelsfrei beantworten. Wir wissen einfach zu wenig über das Virus. Was wir aber mit Sicherheit sagen können: Wenn wir nicht schnell und entschlossen handeln, werden die Gesundheitssysteme sehr schnell an ihre Grenzen kommen.

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