zum Hauptinhalt
Umstrittenes Ausstellungskonzept. Auch die Leiterin der Gedenkstätte, Ines Reich, steht in der Kritik der Opferverbände. Foto: Theo Heimann/dapd

© dapd

Berlin: Erbitterter Streit um das Gedenken

Früheres KGB-Gefängnis wird Erinnerungsstätte. Opferverbände fühlen sich bei der Planung ausgegrenzt.

Potsdam - Im Februar hatte Bob Bahra genug. Der 70-Jährige gilt in Potsdam als wichtiger Vertreter der DDR-Oppositionellen, seit Jahren kämpfte er mit Mitstreitern im Potsdamer Gedenkstättenverein für die Erhaltung des früheren KGB-Gefängnisses in der Leistikowstraße am Fuße des Pfingstbergs – und zwar als Ort der Erinnerung vor allem für Opfer und Überlebende. Jetzt aber konnte sich Bahra nur noch mit Satire weiterhelfen, die in Potsdam einige Wellen schlug. Er schrieb und verschickte eine Einladung zur „Wiedereröffnung des ehemaligen Reisebüros in dem ehemals idyllischen KGB-Städtchen“, wo „Jugendliche bei Spiel und Tanz“ für die Ferien in „sowjetischen Luftkurorten wie Workuta“ fit gemacht wurden. Er meinte jene Jugendlichen, die unter Spionageverdacht bis 1953 in dem Gefängnis gefoltert und verhört wurden, die Scheinerschießungen miterleben mussten und von dort in die Gulags Sibiriens verschleppt wurden. Und er schrieb den bitterbösen Brief mit Blick auf die Eröffnung der Gedenkstätte am 18. April, zu der Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) und Vertreter von Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) erwartet werden, weil Land und Bund das Projekt finanzieren.

Denn es ist nicht irgendeine Gedenkstätte. In dem Gebäude befindet sich das einzige noch erhaltene Gefängnis des einstigen sowjetischen Geheimdienstes in Deutschland. Ein „Ort von europäischer Bedeutung“, wie Brandenburgs Ex-Kulturministerin Johanna Wanka (CDU) Ende 2008 gesagt hatte, als die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten die treuhänderische Verwaltung der Leistikowstraßen-Stiftung übernahm.

Seither wird in Potsdam zwischen den Spitzen von Gedenkstätten und Stiftung auf der einen Seite und Opferverbänden und Zeitzeugen auf der anderen erbittert gestritten. Bahra und seine Mitstreiter vom Gedenkstättenverein hatten sich nach dem Abzug der Sowjets jahrelang um die Erhaltung des maroden Gebäudes gekümmert, organisierten Führungen und Ausstellungen. Seit 2009 aber fühlen sie sich ausgesperrt von der Gedenkstättenleitung.

Bahra sagt über seine Satire: „Ich wollte sie aus der Reserve locken.“ Sein Ziel hat er erreicht. Auch bei Horst Seferens, Sprecher der Gedenkstättenstiftung, kam Bahras Pamphlet an. In einer internen E-Mail schrieb er, „die Zersetzungs-Kampagne rollt offenbar an“. Die Leiterin der Gedenkstätte Leistikowstraße, Ines Reich, deren Abberufung die Opfer fordern, bezeichnete Bahras Papier als „Angriff“ auf die Einrichtung.

Hinter den Kulissen gab es heftige Auseinandersetzungen um das Konzept zur Ausstellung, deren Eröffnung deshalb mehrfach verschoben werden musste. In mehreren Stellungnahmen, die dem Tagesspiegel vorliegen, kritisierten hochkarätige Fachleute und Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats die Macher der neuen Dauerausstellung. Darunter sind die Geschäftsführerin der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Anna Kaminsky, die Vize-Direktorin der Gedenkstätte Berliner Mauer, Maria Nooke, mehrere frühere in dem KGB-Gefängnis inhaftierte Zeitzeugen, aber auch Jörg Baberowski, Professor für die Geschichte Osteuropas an der Humboldt-Universität Berlin. Sogar Herta Müller, die Literaturnobelpreisträgerin von 2009, intervenierte im Frühjahr 2011 bei Brandenburgs Kulturministerin Sabine Kunst (parteilos) gegen das Vorgehen der Gedenkstättenleitung und den Ausschluss der Zeitzeugen.

Ihre Kritik lässt sich auf einen Nenner bringen: Die Opfer würden zu wenig und auf den Ausstellungstafeln nicht angemessen dargestellt, Widerstand und Opposition würden zu wenig bedacht, der Arbeit des KGB dagegen werde zu viel Aufmerksamkeit geschenkt. „Einzelne Spionagefälle werden aufgebläht, an die Schicksale unschuldig Inhaftierter wird nur bruchstückhaft erinnert. Das Leid und die oft barbarischen Strafen bilden nicht den Schwerpunkt“ , beklagt Gedenkstätten-Vereinschef Richard Buchner. Für ihn ist die Leistikowstraße jetzt eher ein Spionage-Museum. Zur Eröffnung am 18. April plant der Verein daher eine eigene Veranstaltung. Tatsächlich musste die Gedenkstätte auf Druck von Kulturstaatsminister Neumann Teile der Ausstellungstexte überarbeiten. In einem Schreiben Neumanns ist sogar von einem „sehr ungewöhnlichen Verfahren“ die Rede.

Zufrieden ist der Beirat nicht. Anna Kaminsky von der Aufarbeitungsstiftung sagt es diplomatisch: Sie sei froh, dass nach 20 Jahren die Gedenkstätte endlich öffne, für die sich ehemalige Häftlinge jahrelang engagiert hätten. Sie hätte sich aber „mehr Miteinander“ mit jenen gewünscht, „die die Grundlage für die Gedenkstätte gelegt haben“. Stiftungssprecher Horst Seferens will seine E-Mail über die „Zersetzungs-Kampagne“ der Opfer, die in Potsdam Kreise zog, nicht weiter kommentieren. Zum Dauerkonflikt aber sagt er, der Verein sei stets über den Beirat einbezogen worden. „Wir waren immer an einer Kooperation interessiert und haben unsere Hand immer ausgestreckt.“ Auch die Vorwürfe der Zeitzeugen wies er zurück: Für die Ausstellung seien zahlreiche Biografien von Opfern erforscht worden. „Man wird es sehen, wenn die Ausstellung eröffnet ist.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false