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Kreuzberger Bügel werden fest im Boden verankerte Fahrradabstellanlagen genannt.

©  Doris Spiekermann-Klaas

Erfahrungsbericht aus Charlottenburg: Wie mir Berlin mal einen Radparkplatz verkaufen wollte

Nach einer Anregung zusätzlicher Fahrradbügel kommt nach neun Monaten Post vom Bezirksamt - inklusive mehrseitiger Vertrags-„Vereinbarung“.

Klar, wer sein Fahrrad im öffentlichen Stadtraum parkt, sollte es abschließen. Und weil in Berlin besonders viele Fahrräder gestohlen werden, sollte man’s besser auch irgendwo anschließen. Mit festem Halt.

Meine Familie und ich wohnen in Charlottenburg, nahe einer Kita und einer Gemeinschaftsschule. Schon deshalb gibt es da neben den flottierenden SUVs der Eltern- Kind-Transporte allerhand Fahrradverkehr. Aber auf den Gehwegen zu wenige Fahrradbügel. Auch die Laternenpfähle oder weniger stabilen Fallrohre an den Hauswänden sind meist von Fahrradparkern belegt. Also ruft meine Frau beim Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf an, um das Aufstellen einiger zusätzlicher Fahrradbügel anzuregen. Irgendwie ist gerade niemand im zuständigen Straßen- und Grünflächenamt zu erreichen, doch man notiert die Telefonnummer. Und tatsächlich ruft schon am nächsten Tag eine Sachbearbeiterin zurück und bittet darum, das Anliegen schriftlich zu formulieren. Das geht mittlerweile sogar schon per E-Mail.

Am nächsten Tag schicken wir diese E-Mail. Und wieder einen Tag später kommt ein Anruf der freundlichen Sachbearbeiterin – man danke und denke darüber nach, der Antrag werde schnellstmöglich geprüft. Wir indes denken: Super, ein Fall von Amt, aber glücklich. Und warten geduldig.

Kurzer Zwischenruf: Berlin will fahrradgerechter und fußgängerfreundlicher werden. Das ist die erklärte Verkehrspolitik des rot-rot-grünen Senats. Erst kürzlich hat der Tagesspiegel an einem Beispiel in Tempelhof-Schöneberg dokumentiert, dass die Aufmalung eines Zebrastreifens an einer für Kinder (und zwei Kitas) besonders gefährlichen Straße ohne bisherigen Fußgängerüberweg in der Regel drei Jahre braucht. Und 18 unterschiedlicher Verwaltungsschritte bedarf.

Schriftliche Antwort nach neun Monaten

In unserem vergleichsweise undramatischen, dennoch lebensnahen Fall kommt die schriftliche Antwort des Bezirksamtes Charlottenburg-Wilmersdorf bereits nach neun Monaten. Namens der Abteilung Stadtentwicklung, Bauen und Umwelt teilt das Straßen- und Grünflächenamt mit, dass nach Prüfung „des (!) zuständigen Bezirksingenieurin“ gegen die „Installation von einem Fahrradbügel vom Typ ‘Kreuzberger Bügel‘ auf öffentlichem Straßenland“ vor unserem Mehrfamilienhaus „keine Bedenken bestehen“.

So lernt man, die in umgekehrter V- oder auch länger gestreckter U-Form im Berliner Straßenland verankerten Eisendinger heißen „Kreuzberger Bügel“. Freilich wird uns aus angeblichem Platzmangel auf dem recht üppigen Gehweg nur ein einziger Bügel dieses Typs genehmigt. Dafür aber hängt dem Schreiben eine mehrseitige Vertrags-„Vereinbarung“ an: mit 13 Paragrafen nebst Ortsskizze und einer schwarzweißen Fotokopie mit farbig markierter Position des künftigen Bügels. Neben den Unterschriften in zweifacher Ausfertigung sind vorab auch noch 200 Euro an die Bezirkskasse zu leisten.

Ich denke zuerst, das ist nur ein erbetener Zuschuss. Wie bei der Neupflanzung von umgestürzten Straßenbäumen, für die auf privaten Antrag hin in den Bezirken 500 Euro gefordert werden. Hier aber geht es bei der „Vereinbarung zwischen dem Land Berlin“ und uns laut Paragraf 1 darum, dass „Berlin dem Nutzer öffentliches Straßenland zur Installation von einem Fahrradbügel“ überlässt. Und der Nutzer erwirbt den Bügel für die 200 Euro als sein Eigentum. Ob er’s möchte oder nicht.

An sich wollten wir gar nichts für uns allein, sondern für die Allgemeinheit nur ein paar mehr gesicherte Fahrradabstellplätze. Daran denkt auf seine Weise auch das Land Berlin, indem es dem Eigentümer und Nutzer im Vertrag mitteilt, dass eine „Eigennutzung des Fahrradbügels nicht garantiert werden kann“. Steht der Bügel doch „auf frei zugänglichem öffentlichem Straßenland“. Deshalb habe der Nutzer „seine Ansprüche auf Besitzstörung selbst geltend zu machen“.

„Das Anbringen jedweder Beschilderung ist unzulässig“

Gemeint sind hier wohl eher Ansprüche wegen Besitzstörung. Wie aber soll das geschehen? Im nächsten Absatz von (immer noch) Paragraf 1 steht nämlich: „Das Anbringen jedweder Beschilderung ist unzulässig.“ Und Paragraf 2 untersagt nochmal ausdrücklich „Hinweise auf den/die Eigentümer“. Abgesehen davon, dass ein solcher Hinweis ohnehin ziemlich bescheuert wäre: Es kann also kein anderer Radler, der an „meinem“ Ständer oder Bügel sein Gefährt anschließt, überhaupt wissen, dass er damit fremdes Eigentum tangiert. Jeder denkt, ein Fahrradbügel an einer Berliner Straße gehört jedem, weil er (zu) Berlin gehört.

Doch in den Folgeparagrafen wird es dann richtig happig. Der weiterhin meist nur „Nutzer“ genannte Fahrradbügeleigentümer hat sein Eigentum ständig in „technisch und optisch einwandfreiem Zustand“ zu halten. Insbesondere müssen „Farbschmierereien umgehend und Wildplakatierungen u.ä. binnen 48 Stunden, an Wochenenden innerhalb von 72 Stunden ordnungsgemäß beseitigt werden“. Berufliche oder private Abwesenheiten sind da nicht vorgesehen.

Aber Berlin soll, ohne Wildplakatierer und Bügelbesetzer, so sauber bleiben, wie es bekanntlich ist! Wenn wir den Vertrag also unterschrieben, müssten wir den Kreuzberger Bügel in Charlottenburg am besten rund um die Uhr bewachen. Vor allem auch, weil im Falle von Straßenbauarbeiten durch das Land Berlin der Bügel als mögliches Hindernis von eigenen und fremden Fahrrädern freizuhalten ist. Wie hierzu dann unter Umständen doch Beschilderungen „auf Veranlassung und zu Lasten des Nutzers“ notwendig werden können, ist in Paragraf 5 formuliert. Freilich so kompliziert, dass ich es selbst nach mehrmaliger Lektüre nicht ganz kapiere. Jedenfalls geht auch hier die Entfernung (fremder!) Fahrräder „zu Lasten des Nutzers“.

Sicher, Eigentum verpflichtet. Rechte allerdings sieht der Berliner Fahrradbügelinstallationsvertrag fast keine vor. Außer, dass das Nutzungsverhältnis ohne Gründe mit Dreimonatsfrist vor Ablauf jedes Kalenderjahres von beiden Seiten gekündigt werden kann. Vom Land Berlin bei Eigenbedarf am genutzten Straßenboden sogar monatlich. Dann muss der nutzlose Nutzer sehen, wo er mit seinem demontierten 200-Euro-Bügel bleibt. Keine Ahnung auch, wie schwer das kalte Eisen ist.

Oder wäre. Denn wer unterschreibt so einen Vertrag mit all seinen hier noch nicht erwähnten weiteren Klauseln – und wer bitte denkt sich das alles aus? Für einen Fahrradbügel! Neun Monate hat Berlin gekreißt und diese Amtsmaus geboren, mit ihrem Paragrafenschwanz.

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