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Schwimmen in Berlin-Mariendorf. Seit 1876 war das Seebad eine große Attraktion.

© Museen Tempelhof-Schönerg

Erinnerung an eine vergessene Berliner Attraktion: Das Seebad der Lewissohns war einen Ausflug wert

Das Seebad Mariendorf war eins der größten Berlins. Nach 1945 geriet es in Vergessenheit. So wie die jüdische Eigentümerfamilie. Jetzt gibt es eine Ausstellung.

Wenn man heute die Ullsteinstraße westlich vom Tempelhofer Damm entlangläuft, deutet nichts darauf hin, dass hier einmal gut 70 Jahre lang ein riesiges Seebad die Berlinerinnen und Berliner im Sommer zum Baden einlud. 1876 eröffnet der Tempelhofer Kaufmann Adolf Lewissohn das Bad am dortigen Riesenpfuhl. Über die Jahre wird es stetig ausgebaut zu einem der größten und schönsten Seebäder Berlins.

Bis zu 4000 Menschen konnten dort schwimmen und sich vergnügen. Es gab eine große Parklandschaft, ein Aquarium, eine Grotte und vieles mehr, was man braucht, um im Sommer Spaß zu haben. Die Menschen kamen zunächst mit der Pferdebahn raus nach Mariendorf.

Wie die Entwicklung des Schwimmbads mit dem Schicksal der Familie Lewissohn und der unheilvollen deutschen Geschichte verbunden ist, ist Thema der Ausstellung „Kommt schwimmen!“ im Tempelhof-Museum. Diese ist schon komplett fertig und wird dort zu sehen sein, sobald es die Corona-Lage wieder möglich macht. „Kommt schwimmen“ war übrigens der Werbeslogan des Seebads.

Nachdem die Mariendorfer Schwimmbloggerin Bianca Tchinda jahrelang um das Gedenken an die Lewissohns gekämpft hat, fasste die Bezirksverordnetenversammlung schließlich den Beschluss, mit einer Ausstellung an das Seebad und die Lewissohns zu erinnern. „Bianca Tchinda war unsere Ideengeberin“, sagt Irene von Götz, die Direktorin der Tempelhof-Schöneberger Museen. 

Florian Sachse, der wissenschaftliche Volontär der Museen, begann mit seinen Recherchen, traf Tchinda, trug Material zusammen und konzipierte die Ausstellung. Die Künstlerin Friederike von Hellermann gestaltete die Wände mit wunderhübschen Illustrationen vom Seebadleben.

Der Gründer des Bades. Das Foto Adolf Lewissohn zeigen. Es ist aber nicht völlig gesichert, ob er es wirklich ist.
Der Gründer des Bades. Das Foto Adolf Lewissohn zeigen. Es ist aber nicht völlig gesichert, ob er es wirklich ist.

© Museen Tempelhof-Schöneberg

Auf einer langgezogenen Tischkonstruktion, die quasi einem Schwimmbadsteg nachempfunden ist, werden die Fotos und Dokumente zu einem spannenden Kapitel Mariendorfer Geschichte präsentiert. Sie zeugen von dem Elan des Gründers, der sowohl sozial engagiert als auch geschäftlich äußerst aktiv ist. Als Grundstücksvermittler trägt er viel zur Entwicklung Tempelhofs und Mariendorfs bei.

Beispielsweise kann er Grundstückseigentümer davon überzeugen, Land zu verkaufen und somit die Ansiedlung des großen Gaswerks in Mariendorf zu ermöglichen – auf dem Areal des heutigen Marienparks. Auch bei der Erschließung des Teltow-Kanals ist er beteiligt.

Viele Jahre ist das Seebad in einen Männer- und einen Frauenbereich getrennt.  Von 1911 an ist das Schwimmbad geeignet für Wettkämpfe; die Bahn ist 130 Meter lang. Der noch heute existierende Verein BSV Friesen 1895 nutzt es für sein Training. Lewissohn wird dort Ehrenmitglied und stiftet einen Pokal. In der Nazizeit wird der Verein eine üble Rolle bei der „Arisierung“ des Bades spielen. Lewissohn stirbt 1927, seine Tochter Helene übernimmt das Bad.

Die Gäste bleiben aus, das Bad gilt als jüdisch

Mit dem Erstarken des Nationalsozialismus und der Machtübernahme wird es für sie immer schwieriger, das Unternehmen wirtschaftlich zu betreiben. Gäste bleiben aus, das Bad gilt als jüdisch. Ab April 1934 steht es unter Zwangsverwaltung. Die Friesen wollen längst nichts mehr von den Lewissohns wissen und pachten das Bad.

„Deutsche Volksgenosssen baden jetzt in einer Badeanstalt, die dem jüdischen Einfluss entzogen, von deutschen Volksgenossen betreut und verwaltet wird“, heißt es in Werbeschreiben des Vereins: „Volksgenosse, wir erwarten Dich.“ Ein Foto zeigt, wie beim Neptunfest 1935 der Wassergott sich auf einen Dreizack mit Hakenkreuz stützt. Bereits 1934 muss Helene Lewissohn einen Teil des Grundstücks, auf dem sich die Lewissohn-Villa mit einem großen Restaurant befindet, weit unter Wert verkaufen. Der Verkaufspreis reicht so gerade eben, ihre Schulden zu bezahlen. 1939 wird die Badeanstalt zwangsversteigert.

Mit Blick auf das Ullsteinhaus. Das Bild entstand um 1928.
Mit Blick auf das Ullsteinhaus. Das Bild entstand um 1928.

© Museen Tempelhof-Schöneberg

Die Nazizeit und den Zweiten Weltkrieg überlebt Helene Lewissohn in einer Gartenlaube. Nach dem Ende des Kriegs bemüht sich die inzwischen 75-Jährige darum, das Seebad zurückzubekommen. Erfolglos. Für das Restaurantgrundstück erhält sie gerade einmal 1000 Euro zugesprochen. 1952 wird ihre Forderung nach Rückübertragung der Badeanstalt zurückgewiesen. Da sie die Verfahrenskosten nicht tragen kann, muss sie einen Offenbarungseid leisten. Verarmt stirbt sie 1957.

1950 schließt das Bad endgültig

Im Krieg verfällt es zusehends. Aber kurz nach Kriegsende wird es im Sommer 1945 wieder geöffnet. In den direkten Nachkriegsjahren strömen die Menschen dorthin, an heißen Tagen bis zu 5000 Besucherinnen und Besucher täglich. Aber das Ende ist absehbar. Das Wasser ist verschlammt und veralgt. Eins der letzten Freischwimmerabzeichen erwirbt dort am 17. August die 13-jährige Schülerin Maria-Elisabeth Milde, wie auf einer Reproduktion des Zeugnisses zu sehen ist. Nur wenige Tage später schließt das Bad mit dem Ende der Sommersaison.

Auf dem Grundstück wird in den achtziger Jahren ein Seniorenzentrum gebaut. In seinem Garten erinnern lediglich ein kleiner Teich und die Reste der Grotte an eins der schönsten und größten Seebäder Berlins.

Infos zur Ausstellung: museen-tempelhof-schoeneberg.de

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