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Der Spreepark war der einzige Vergnügungspark der DDR. Er schaffte es über die Wende, musste 2002 aber schließen.

© Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

Erinnerungen an den Berliner Spreepark: Bei jedem Looping Todesangst und Raven zwischen Dinos

Einst Vergnügungspark der DDR, dann verlassener Schauplatz für Fotoshootings und Partys. Der Spreepark hat viel zu erzählen – auch über die Entwicklung Berlins.

Es war ein einschneidender Moment in meinem Leben: als ich, nach jahrelanger und immer schlimmer werdender Kurzsichtigkeit, zum ersten Mal meine neue Brille aufsetzte und aus meinem Küchenfenster schaute. Ich wohnte zu dieser Zeit am Ostkreuz, mit freiem Blick auf die Bahngleise, die Warschauer Brücke und Richtung Plänterwald.

Den Fernsehturm im Westen hatte ich auch halb blind erkannt. Was ich aber erst an diesem Tag entdeckte, Monate, nachdem ich eingezogen war: das Riesenrad aus dem Spreepark im Osten. „Da ist also der Spreepark! So nah!“, jubelte ich, die Neuberlinerin, und stapfte los, um mir den verlassenen Freizeitpark anzuschauen.

Berlin ist hier so sehr Berlin

Tatsächlich liegt er etwas weniger nah am Ostkreuz, als ich damals dachte. Was aber nichts macht, denn der Weg vom Ostkreuz dorthin, durch den Treptower Park, ist bis heute eine meiner liebsten Routen. Nicht nur, weil ich dort zum ersten Mal in meinem Erwachsenenleben sah, dass Schwäne Gesichter haben und Bäume einzelne Blätter. Berlin ist hier einfach so sehr Berlin, Ost-Berlin vor allem, so ganz anders als die süddeutsche Provinz, vor der ich geflüchtet war: groß, weit, flach.

Ich mag alles an diesem Ort, die breite Spree, die großen Touristenschiffe, die dort anlegen, die kleinen Tretboote, die im Sommer das simpelste Versprechen für Spaß und Urlaubsgefühle sind. Den Nebel, der sich im Herbst unter der Brücke schlängelt, die zur Insel der Jugend führt. Die massiven Industriebauten im Hintergrund, die der ganzen Szenerie jeglichen Pathos nehmen. Ich mag sogar die große und viel befahrene Puschkinallee, die mitten durch den Park hindurchführt, links und rechts gesäumt von riesigen Bäumen.

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Und natürlich mag ich das Sowjetische Ehrenmal, das zwar seit einer Weile durch Baumaßnahmen und niedliche rot-weiße Absperrbänder etwas von seiner sozialistischen Autorität einbüßen muss, aber nach wie vor wirkt wie das verlassene Set eines Science-Fiction-Films. Dass hier in der Nähe auch noch ein ehemaliger Freizeitpark sein soll, scheint genauso passend wie unwirklich. Aber doch: Nur noch einmal die Straße überqueren und ein kleines Stück durch den Wald laufen, dann steht man vorm Haupteingang des Parks.

Schauplatz für Raves, Musikvideos und abenteuerlustige Fotografen

Der Spreepark, 1969 eröffnet, war der einzige Freizeitpark der DDR. Seit 2002 ist er geschlossen, der Betreiber Norbert Witte musste Insolvenz anmelden. Witte soll später versucht haben, in einem Fahrgeschäft 167 Kilogramm Kokain von Peru nach Deutschland zu schmuggeln. Sicherlich hat diese Geschichte dazu beigetragen, dass sich in den Jahren danach ein regelrechter Hype um den Park spann. Er war – oder ist vielleicht bis heute – einer der berühmtesten „Lost Places“, also verlassenen Orte, Europas.

Es wurden Musikvideos dort gedreht und Raves gefeiert. Sein morbider Charme mit den alten, halb verfallenen Fahrgeschäften, den ebenso verfallenen und mit Graffiti besprühten kleinen Fachwerkhäusern, zog zahlreiche Hobbyfotografen und abenteuerlustige Berlinbesucher an, die – illegal – über den alten Maschendrahtzaun auf das Grundstück kletterten.

Zwar gab es einen Parkwächter, der die Eindringlinge verscheuchte, aber das hielt viele trotzdem nicht von einem Versuch ab. Heute kann man das Innere des Spreeparks nicht mehr so einfach besichtigen. Nach einem Brandanschlag 2014 wurde ein stabilerer Zaun um das Gelände gebaut. Das Land hat ihn gekauft und arbeitet an Renovierungen auf dem Gelände. Es werden zwar Führungen angeboten, die sind aber oft Monate im Voraus ausverkauft.

Der Park hat sich entwickelt, wie vieles in Berlin: Wer rein will, muss Geld bezahlen und Geduld mitbringen. Aus einem Abenteuerspielplatz, der noch bis in die 2010er Jahre das Berlin-der-90er-Gefühl ausstrahlte, wurde eine gut bewachte Baustelle. Also läuft man drum herum, genießt die Ruhe des Waldes, bestaunt den dicht wachsenden Bärlauch und die wenigen Überreste der Attraktionen, die man vom Zaun aus sehen kann.

Auf der anderen Seite grenzt der Park an den Uferweg zur Spree, dahinter Industrie, Boote, Wiesen, das Funkhaus. Man hat hier Ruhe vor der Stadt, ohne sie zu verlassen.

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Bei jedem Looping Todesangst

All das hatte aber nichts mit meiner Freude darüber zu tun, dass ich das Riesenrad von meiner Wohnung aus sehen konnte, sondern mit den Erinnerungen an frühere Besuche. Ich war in meinem Leben zwei Mal im Spreepark – immer legal, glaube ich. Beim ersten Mal war der Park noch in Betrieb, es muss 2001 gewesen sein, kurz vor seiner Schließung also, in meiner Erinnerung ist der Park leer und kalt.

Ich war damals 11 Jahre alt und besuchte meinen Vater, der in Berlin lebte. Es war unser erstes richtiges und beinahe letztes Treffen, nur einmal haben wir uns danach noch gesehen. Ich erinnere mich noch sehr gut an die Achterbahnfahrt: Ich war viel zu klein für die Sitze, in jeder Kurve knallte mein Kopf gegen die ungepolsterten Seitenteile, bei jedem Looping hatte ich Todesangst. Ich kam aus dem Westen und war höheren Komfort gewohnt.

Achterbahn-Fan bin ich aber geblieben und auch mit Berlin, das mir damals dreckig und hässlich schien, freundete ich mich später an.

Raven zwischen Dinos

An das zweite Mal kann ich mich etwas besser erinnern: Es war 2011, vier Jahre, bevor ich nach Berlin zog. An einem August-Wochenende fand in dem Park ein Techno-Festival statt, dessen Name für meinen damaligen Lebensstil nicht passender hätte sein können: „Luft und Liebe“. Es war ganz anders, als damals mit meinem Vater; voller Leben, bunt und hedonistisch.

Die Raver saßen zwischen, auf und in umgefallenen Dinosaurierfiguren, wollte man sich vom Tanzen erholen, konnte man sich in eines der Karussellautos setzen oder den schwangestaltigen Tretbooten dabei zusehen, wie sie im mit giftgrünen Algen überzogenen Wasser vor sich hindümpelten.

Wenn ich heute am Park vorbeilaufe, stelle ich mir vor, dass hier, hinter dem Zaun, alles so bleibt, wie es ist. Das stimmt natürlich nicht. Der Park soll irgendwann wiedereröffnen. Und die Dinosaurier scheinen auch verschwunden zu sein – vielleicht hat sie jemand geklaut, als Andenken an das alte, wilde Berlin.

Außerdem erschienen in unserer kleinen Spaziergangsserie: Der Tegeler Forst, die Ecke vom Neuköllner Thomas-Friedhof bis zum Körnerpark, der Teufelsbergdie Halbinsel Stralau, der südliche Teil des Großen Tiergarten und das Tempelhofer Feld.

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