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Leere Gleise am Hauptbahnhof.

© dpa

Erlebnisbericht: Warten im Tunnel

Unsere Reporterin kennt die S-Bahn und rechnet bei Fahrten immer Extra-Zeit ein. Doch diesmal reicht das nicht. In einem Tunnel zwischen Humboldthain und Nordbahnhof bleibt ihre S-Bahn stehen.

Als Berlinerin und regelmäßige S- Bahn Nutzerin habe ich schon so einige Erfahrungen mit den Beförderungsbedingungen gemacht, sodass ich mich zu wichtigen Terminen grundsätzlich ein bisschen früher als unbedingt nötig auf den Weg mache. So auch heute, als ich um elf Uhr meine Heimat im Norden der Stadt in Richtung Mitte verließ. Schon auf dem ersten Fahrtabschnitt verlangsamte die Bahn einige Male kurz ihr Tempo. Ruhig Blut, dachte ich mir, das kommt öfter vor, du hast ja deinen Zeitpuffer und wirst schon pünktlich am Ziel ankommen.

Vertieft in meine Lektüre blieb ich auch weiterhin entspannt, als die S25 im Tunnel zwischen Humboldthain und Nordbahnhof abermals hielt, diesmal allerdings etwas länger als zuvor. Spätestens als die Lautsprecheranlage ein verheißungsvolles Knacken von sich gab, schwante mir Böses. Der recht freundliche, aber leider ziemlich undeutlich sprechende Zugführer, teilte uns mit, dass sich die Weiterfahrt aufgrund eines Stromausfalles verzögere und er leider noch keine genaue Auskunft darüber geben könne, wann wir die Fahrt fortsetzen könnten. Ein Aufstöhnen unter den Fahrgästen, genervte Blicke. Auch ich lege, nun gar nicht mehr ruhig, meine Lektüre beiseite und beginne zu telefonieren, ich habe ja schließlich einen Termin, in genau 15 Minuten, und es sind noch einige Stationen bis zum Zielbahnhof. Mein Zeitpuffer ist dahin.

Im Vier-Minuten-Takt folgen Durchsagen des freundlichen, aber leider immer noch schwer verständlichen Fahrers. Die Kernaussagen, die auch ich mühsam verstehen kann, lauten: Problem noch nicht behoben, er bittet um Verständnis und Geduld. Was gar nicht so leicht ist, da ich nicht mehr annähernd die Chance habe, pünktlich zu kommen.

Meine Mitfahrer nehmen die Situation, nach einer ersten kurzen Entrüstung, erstaunlich gelassen. Einige lesen, lenken sich mit Musik ab, oder halten ein Nickerchen. Wahrscheinlich alles erprobte S-Bahn-Fahrer, die vermutlich ein größeres Zeitfenster bis zu ihren Terminen und Verabredungen eingeplant haben als ich. Mein Gegenüber hingegen, sichtlich genervt, legt sein Bein auf die Sitzbank und trommelt mit den Fingern auf der Lehne. Er scheint nicht ganz so gelassen wie der Rest der Fahrgäste, aber was soll er auch tun?! Fluchen, schreien, gegen die Tür trommeln? Bringt alles nichts und es bleibt ihm keine andere Wahl, als weiter der Dinge zu harren. So auch ich, wobei ich die Situation mittlerweile durch ihre Absurdität schon fast wieder lustig finde. Was für eine Ironie, ausgerechnet heute und nicht letzte Woche, als ich bloß ins Kino wollte.

Dann, nach ungefähr fünfzehn Minuten, für uns Tunnel-Insassen eine gefühlte Ewigkeit, kommt die erlösende Durchsage: Die ersten Handwerker sind Vorort, konnten leider noch nichts ausrichten, wir könnten aber gleich bis Nordbahnhof vorrücken. Dort müssten wir die Bahn verlassen und auf die BVG umsteigen. Am Nordbahnhof angekommen blicke ich in ratlose Gesichter von Reisenden, die auf dem Bahnsteig warten. Es wird eine Ansage gemacht, in welche Tramlinien man umsteigen könne, auf die ich aber nicht weiter achte, sondern zum Ausgang eile und mir per Handy eine mögliche Verbindung mit Bussen von meinem Freund durchgeben lasse. Ein Hoch auf Smartphones und ich bereue einmal mehr, dass ich keines besitze. Der Bus kommt zum Glück in recht häufigen Abständen, sodass ich nicht allzu lange im Regen stehe. Der Weg zum Hauptbahnhof ist noch mal eine Zerreißprobe, da dichter Verkehr dort an der Tagesordnung ist. Am Hauptbahnhof muss ich in einen weiteren Bus umsteigen, der noch erstaunlich leer ist. Im Vorbeigehen schnappe ich einen Gesprächsfetzen auf, in dem es um „Bornholmer Straße“ und „festgesessen“ geht.

Ich bin nun fast am Ziel angekommen, und der Bus füllt sich merklich. Ich passiere den S-Bahnhof, der eigentlich der Endpunkt meiner Fahrt gewesen wäre und komme kurz mit einer jungen Frau ins Gespräch, der durch eine Durchsage am Bahnsteig mitgeteilt wurde, dass bis auf weiteres der Zugverkehr ausfallen würde. Nun muss sie erst einmal an der Bushaltestelle schauen, wie sie am besten weiterkommt. Zum Glück ist sie Berlinerin und kennt sich einigermaßen aus. Eine andere Dame teilt jemandem über ihr Handy mit: „No S1“ and „I don’t know“.

Sie muss ihren Weg offenbar noch finden. Ich bin mit 50 Minuten Verspätung am Ziel angelangt und ahne langsam, dass ich damit noch Glück hatte.

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