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Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD).

© Fabian Sommer/dpa

Update

Ermittlungen zum Neukölln-Komplex: Experten sehen keine Belege für rechtsextremes Netzwerk in Sicherheitsbehörden

Die Aufklärungskommission attestiert den Ermittlungen Defizite – und sieht Gefahren bei der Abfrage persönlicher Daten in Behörden und Bezirksämtern.

Bei den Ermittlungen zur Serie rechtsextremistischer Anschläge in Berlin-Neukölln hat es zwar Defizite gegeben – doch Belege für ein rechtsextremes Netzwerk in den Sicherheitsbehörden gibt es nicht. Dieses Fazit hat die Neukölln-Kommission am Montag im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses gezogen.

Die Sicherheitsbehörden und die Staatsanwaltschaft hätten grundsätzlich ordentlich gearbeitet, sagte Ex-Bundesanwalt Herbert Diemer bei der Vorstellung des Kommissionsberichts.

Es seien aber Defizite und Umstände gefunden worden, die verbesserungswürdig seien. „Dass es bislang keinen Ermittlungserfolg gab, ist nicht auf rechtsextremes Gedankengut oder entsprechende Strukturen zurückzuführen“, sagte Diemer. Die Polizei habe den Seriencharakter der Brandstiftungen, Schmierereien und Drohungen sehr früh erkannt, die Justiz habe das aber erst ab 2016 wahrhaben wollen. Allerdings sei, allein aufgrund der Art der Anschläge, der Nachweis der Taten generell sehr schwierig.  

Für unrechtmäßige Datenabfragen bei der Polizei im Zusammenhang mit dem Neukölln-Komplex gebe es keine Belege. Allerdings wies Diemer auf die Gefahr hin, dass beim Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (Labo) unberechtigt Daten aus dem Melderegister abgefragt werden könnten.

Rund 1000 Menschen hätten in den Berliner Behörden und auch Bezirksämtern Zugriff auch auf persönliche Daten und Adressen von Menschen, deren Angaben im Melderegister gesperrt wurden. Wer zu welchem Zweck Daten abfrage, werde bislang nicht überwacht. Dort müsse die Kontrolle verbessert werden, forderte Diemer.

Innensenator Andreas Geisel (SPD) sagte, die Darstellung zu Abfragemöglichkeiten personenbezogener Daten beim Labo „waren für mich in diesem Ausmaß neu“. Weiter sagte Geisel: „Wenn gesperrte Daten von über 1000 Personen in allen Bezirksämtern abgerufen werden können, müssen wir uns dem Thema widmen. Bislang hatten wir die Sicherheitsbehörden im Blick, nun tut sich aber ein wesentlich breiteres Spektrum auf.“

Der frühere Bundesanwalt Herbert Diemer.
Der frühere Bundesanwalt Herbert Diemer.

© Tobias Hase/picture alliance/dpa

Uta Leichsenring, zweites Kommissionsmitglied, sagte, der Verfassungsschutz habe ordentlich gearbeitet. Aber die personelle und technische Ausstattung beim Verfassungsschutz gehe „nicht ganz mit der Zeit“, sagte die frühere Polizeipräsidentin von Eberswalde. Als Beispiel nannte sie die fehlende elektronische Datenbearbeitung. Viele Arbeiten würden „händisch erledigt“, was die Arbeit massiv erschwere. 

Verfassungsschutz war bei Auswertung der abgehörten Kommunikation überfordert

Die Kommission kam zu dem Ergebnis, dass der Verfassungsschutz bei der Auswertung der abgehörten Kommunikation der verdächtigen Neonazis im Neukölln-Komplex überfordert war. Der Fülle und Länge der jahrelang belauschten Kommunikation war der Berliner Verfassungsschutz offenkundig personell nicht gewachsen.

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Von Januar 2017 bis Juni 2019 liefen allein 76.000 Telefongespräche auf. Leichsenring und Diemer bekamen die Abhörprotokolle und stellten fest, „dass teilweise zu sehr langen Gesprächen nur sehr kurze Protokolle gefertigt wurden“.

[Den Abschlussbericht der Kommission können Sie hier nachlesen.]

Die Experten prüften selbst rund 1000 aufgezeichnete Gespräche aus der Zeit schwerer rechter Straftaten 2017 und 2018. Das war ein Prozent der vorliegenden Daten aus der Überwachung von Telefonaten und weiterer Telekommunikation.

Leichsenring und Diemer fordern Personalaufstockung

Demnach gab es „einzelne Informationen, die nicht protokolliert wurden, obwohl sie nach Auffassung der Kommission vor dem Hintergrund der Ereignisse durchaus einen Sachzusammenhang mit dem Neukölln-Komplex haben“. Leichsenring und Diemer forderten daher eine „Personalaufstockung“ beim Verfassungsschutz, um sämtliches Rohmaterial aus den Abhörmaßnahmen erneut zu prüfen.

Geisel sagte, dass es sinnvoll wäre, die Abhördaten erneut unabhängig überprüfen zu lassen. Allerdings sollte nicht der Verfassungsschutz damit betraut werden, sich selbst zu überprüfen. „Unser erklärtes Ziel ist es, dass die Straftatenserie restlos aufgeklärt wird“, sagte Geisel.

Experten untersuchten auch Rolle der Staatsanwaltschaft

Die beiden Expert:innen nahmen auch die Arbeit der Berliner Staatsanwaltschaft in den Blick. Speziell widmeten sie sich dem Vorwurf gegen den ehemaligen Leiter der Staatsschutzabteilung, Oberstaatsanwalt F. Ein Hauptverdächtiger der Anschlagsserie hatte diesem in einer Chatnachricht unterstellt, „AfD-nah“ zu sein. Nach Bekanntwerden dieser Nachricht zog die Generalstaatsanwältin Margarete Koppers das Ermittlungsverfahren an sich. 

Belege dafür, dass Oberstaatsanwalt F. parteiisch gehandelt oder gar die Ermittlungsarbeit absichtlich behindert haben könnte, fanden die Expert:innen nicht. „Ich bin den beiden Experten dankbar, dass sie ihr Ergebnis so klar und eindeutig formuliert haben, weil der im Raum stehende Vorwurf für die betroffenen Kollegen der Staatsanwaltschaft schwer wog und die öffentliche Diskussion darüber sie nachhaltig belastet hat“, teilte Koppers dazu mit. 

Zugleich erklärte sie, dass der Leitende Oberstaatsanwalt in Berlin bereits Schritte unternommen habe, um insbesondere die bemängelte Kommunikation mit den Betroffenen zu verbessern. 

Grüne und Linke fordern weitere Untersuchung von Rechtextremen in der Polizei 

Grüne und Linke wollten sich angesichts wiederholter rechtsextremer Verstrickungen von Mitarbeiter:innen der Sicherheitsbehörden nicht mit dem Befund der Kommission abfinden, dass es keine Belege für rechtsextreme Netzwerke gebe. Letzteres heiße nicht, dass diese Netzwerke nicht existierten, sagte etwa der Linken-Abgeordnete Niklas Schrader. Hier sei weitere Aufklärung nötig.

Geisel widersprach den Koalitionspartnern: „Wir haben jetzt die dritte Untersuchung dieses Komplexes und die dritten Ergebnisse. Die muss man dann auch mal zur Kenntnis nehmen, auch wenn sie nicht in die eigene Ideologie passen.“ Herbert Diemer räumte allerdings ein, dass die Kommission nicht zu dem Schluss gekommen sei, dass es keine rechtsextremen Strukturen gebe – sie hätte lediglich keinerlei Hinweise auf die Existenz solche Strukturen gefunden.

Die Expertenkommission hatte etwa alle rund 40 Polizist:innen, gegen die aktuell Disziplinarverfahren wegen rechtsextremer Äußerungen oder Handlungen laufen, auf eine Verbindung zum Neukölln-Komplex überprüft. Eine Verbindung fand sich nicht, auch war keiner der Betroffenen an den Ermittlungen zur Anschlagsserie beteiligt. 

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