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Berlin: Erniedrigt, geschlagen, gequält

20-jährige Frau wurde in Untersuchungshaft von vier Häftlingen stundenlang gefoltert – Wachen bemerkten nichts

Fast vier Stunden lang wurde eine 20-jährige Insassin der Justizvollzugsanstalt für Frauen in Lichtenberg von vier Mithäftlingen gefoltert. Erst nachdem die Peinigerinnen von ihr abgelassen hatten, konnte die Frau um Hilfe rufen und die Wachen benachrichtigen: „Sie fanden sie weinend und schreiend in ihrer Zelle“, sagte Justizsprecherin Andrea Boehnke. Sie sprach von einem „außerordentlich brutalen Vorfall“. Der Akt von Selbstjustiz ereignete sich bereits am Sonntag. Hintergrund ist offenbar ein verschwundenes Modeschmuckstück. Die 24-Jährige war von ihren Mithäftlingen verdächtigt worden, es gestohlen zu haben.

Die vier 16 bis 24 Jahre alten Frauen drangen am Sonntag gegen 13 Uhr in die Zelle der Frau ein und schlugen unter anderem mit einem Stromkabel auf sie ein. Dann rasierten sie ihr Haare und Augenbrauen, wickelten sie unter anderem in eine Decke, traten auf sie und zwangen sie, ein Gemisch aus Shampoo, Spülmittel und Urin zu trinken. Sie drohten der Frau, sie umzubringen, wenn sie Lärm macht und die Wachen alarmiert. Erst gegen 16.30 Uhr ließen sie schließlich von ihr ab. Das Opfer konnte daraufhin über den Notruf in ihrer Zelle das Vollzugspersonal benachrichtigen. Der Anstaltsarzt leistete Erste Hilfe, danach wurde sie ins Krankenhaus gebracht, aber nach ambulanter Behandlung wieder entlassen. Sie sei auch psychologisch betreut worden, sagte Andrea Boehnke.

Die Polizei ermittelt unter anderem wegen des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung gegen die Täterinnen. Intern ermittle die Justiz, ob die Vollzugsbediensteten möglicherweise ihre Aufsichtspflicht verletzten, weil sie den Vorfall nicht frühzeitig bemerkt hatten, sagte Andrea Boehnke. Die Täterinnen werden in anderen Gefängnissen außerhalb Berlins untergebracht. Die betroffenen Frauen waren mit acht weiteren Untersuchungshäftlingen im so genannten Wohngruppenvollzug untergebracht; das bedeutet, dass mehrere Zellen auf einem Flur liegen, der von den anderen Wohngruppen getrennt ist. Die Flure sind verschlossen, nicht aber die einzelnen Zellen.

Den Justizbediensteten, die am Sonntagnachmittag mehrfach ihre Rundgänge machten, sei nichts Ungewöhnliches aufgefallen, sagte Andrea Boehnke. Daher seien die Zellen, deren Türen geschlossen waren, auch nicht kontrolliert worden. Ob die anderen inhaftierten Frauen den Überfall auf die 20-Jährige bemerkten, ist derzeit nicht geklärt. Täterinnen und Opfer stammen alle aus Deutschland und sitzen nach Auskunft der Justizsprecherin unter anderem wegen Diebstahls, Raubes, Betruges und Leistungserschleichung in Untersuchungshaft.

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