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Berlin: Ernst Löber (Geb. 1934)

Er lernte, Vaters Werkzeuge zu schärfen.

Von David Ensikat

Es gibt die starken Menschen und die schwachen. Sein Vater war vielleicht ein starker, einer der wusste, was zu tun war, ein Bildhauer, ein Künstler, von seinem Künstlertum tief überzeugt, ein Vater, der acht Kinder zeugte und hohe Erwartungen an sie hatte.

Ernst war das zweite Kind, der erste Sohn. Er wollte immer alles richtig machen, sein übergroßer Vater sollte ihn ebenso lieb haben wie die große Schwester. Bis in sein zwölftes Jahr stotterte er. Aber wenn er dem Vater im Atelier half, kam es auf die Worte ja nicht an. Ernst deutete die Blicke, er wusste, welches Werkzeug nötig war, er reichte es dem Vater, und er war froh, wenn der Vater zufrieden war mit ihm. Er lernte, Vaters Werkzeuge zu schärfen.

Weil der Sohn Geschick bewies und ordentlich und strebsam war, besorgte ihm der Vater eine Holzschnitzausbildung. Und weil der Vater Künstler war, bewarb sich der Sohn dann an der Kunsthochschule. Es waren die fünfziger Jahre in der DDR, da kam es in der Kunst vor allem auf den Klassenstandpunkt an. Den hatte Ernst. Der strenge Staat war wie der strenge Vater Maß der Dinge. Ernst war gut im Modellieren, und er verstand, was man von ihm erwartete. Er galt als Vorbild an der Kunsthochschule. Für die Diplomarbeit, einen standhaften Grenzsoldaten aus Gips, erhielt er eine Eins.

Wer heute über Ernst Löber spricht, spricht nicht über die Kunst, über sein Werk. Abgesehen von ein paar gut polierten Holztieren auf Spielplätzen ist in der Öffentlichkeit nichts mehr zu finden. Das hat nichts mit der üblichen Geringschätzung der DDR-Kunst zu tun. Der jüngere Bruder sagt es so: Ernst hätte vielleicht Instrumentenbauer werden sollen. Er war so ein hervorragender Handwerker.

Auch Ernst Löber selbst machte sich nicht viel vor. Er soll einmal gesagt haben: Was von mir bleibt, sind scharfe Werkzeuge.

Ein Bildhauerkollege, dem größerer Kunstwille und Erfolg beschieden waren, der in Löbers Nachbarschaft wohnte, erzählt von einer ungleichen Beziehung. Löber besuchte ihn, nicht umgekehrt. Löber kam mit seiner Mundharmonika vorbei, auf der er so gern spielte, wollte übers Pilzesammeln sprechen, die Kunst des anderen loben, er hat auch dessen Werkzeuge fachgerecht geschliffen, doch eine echte Freundschaft war das nicht. Der wollte Drachen steigen lassen, sagt der Bildhauer, wie ein Kind, immer nur Drachen steigen lassen. Für mich war das nichts.

Zeitweise wollte Ernst Löber noch etwas mehr. Er hat über den Bildhauernachbar Berichte abgeliefert. Auch über andere Leute, Freunde, selbst Verwandte, hat er mit dem Staatssicherheitsdienst gesprochen. Regelmäßige Treffen, dreizehn Jahre lang, mit den Herren, die den starken Staat vertraten, die die große Sache schützten, an die Ernst Löber glaubte. Vielleicht war es ja so: Je weniger er an sich selbst und seine Kunstberufung glauben konnte, desto mehr glaubte er an den Sozialismus und daran, was ihn die geheimen Herren spüren ließen: Er wurde gebraucht, seine Meinungen und Erkenntnisse spielten eine Rolle.

Und dann war es bei ihm wie bei so vielen, die Scham, das Vergessen, bis andere in ihren Akten lasen, was er berichtet hatte. Es tat ihm leid, natürlich. Zu dem Bildhauernachbarn ist er von selbst gegangen, und der sagt heute: Er war der einzige, der sich entschuldigt hat. Damit ist die Sache dann auch gut. Er war eben einer, mit dem sie’s machen konnten.

Ein anderer, einst Schwager und guter Freund, sagt: Das, was Ernst Löber über mich berichtet hatte, wussten die längst. Sie hatten viel bessere Spitzel.

Worin er gut war: Mit anderen zusammenarbeiten, Handwerk vermitteln. Gesellig sein mit seinen Liedern. Menschen einladen, auch wenn bei ihm nie viel zu holen war. Mit Phantasie praktische Dinge angehen. Eine Spritzeisbahn für Kinder bauen, Bogenschießen mit den Kindern.

Ernst Löbers Tochter sucht nach einem Standpunkt. Sie spricht von Lebenslügen und von Schwäche. Und sie sagt: Ich habe ihn geliebt, er war doch mein Vater. David Ensikat

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