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Das Müll-Museum eröffnet am 15. März seine Türen. Auch den "Digital-Jesus" können die Besucher dann dort betrachten.

© Doris Spiekermann-Klaas

Eröffnung in Gesundbrunnen: Müll als Ausstellungsstück

In Gesundbrunnen wird an diesem Freitag ein Müll-Museum eröffnet. Die Betreiberinnen haben große Pläne für den Kiez.

Berlin und sein Müll – das sei ein echtes Phänomen, sagt Lena Reich. Einerseits gehöre er zum Kiez dazu, andererseits sei er lästig. Dass sie ein Museum zum Thema Müll eröffnen will, habe trotzdem viele Menschen verwundert. Kann ich meinen Kram da abstellen? Stinkt’s da drin? Das seien die Reaktionen gewesen.

Im September war Reich mit Schülern aus dem Fachbereich Gestaltung des Oberstufenzentrums KIM in Gesundbrunnen unterwegs, auf der Suche nach wilden Müllkippen. Nicht etwa, um aufzuräumen, sondern um den Müll genau unter die Lupe zu nehmen. So fanden sie einen Plüschtiger, der zwischen Stofffetzen zum Leben erwachte, oder eine VHS-Kassette, deren Magnetband sich wie eine Schlingpflanze über die Kippe ausgebreitet hatte. Reich schätzt, dass die Kassette aus dem benachbarten Erotikkino stammt. "Es gibt hier aber auch viele ältere Anwohner, die ausmisten und wegschmeißen", sagt sie.

"Wir geben dem Müll ein Zuhause"

Darüber hinaus erzähle die Mülldeponie an der Ecke Prinzenallee, Gotenburger Straße auch die Geschichte des Grundstücks: Es sei verkauft worden, weswegen der darauf angelegte Spielplatz geschlossen wurde, der Ort schnell verwaiste. Und weil der Müll, der sich vergangenes Jahr dort aufgetürmt hatte, so viele Prozesse sichtbar macht, ist er Museumsstück geworden. Von den Schülern in Zeichnungen konserviert, hängt er im Müll-Museum, das Lena Reich an diesem Freitag im Seitenflügel der Stephanuskirche im Soldiner Kiez eröffnen will.

Die Macherinnen Lena Reich und Sudanne Schulze-Jungheim in den Räumen des Müllmuseums.
Die Macherinnen Lena Reich und Sudanne Schulze-Jungheim in den Räumen des Müllmuseums.

© Doris Spiekermann-Klaas

"Wir geben dem Müll ein Zuhause", sagt Susanne Schultze-Jungheim vom Interkulturellen Theaterzentrum, dem Trägerverein des neuen Museums. Die Geschichte des Kiezes solle durch den Müll erzählt werden – um das Zusammengehörigkeitsgefühl zu stärken und dazu aufzurufen, Müllproblem im Kiez gemeinsam anzugehen. Ihr und Reich geht es in erster Linie um Nachhaltigkeit, sowohl um soziale, als auch um wohnliche. Die BSR biete hauptsächlich Aktionen für Kinder an, sagt Susanne Schultze-Jungheim. Das Müll-Museum soll auch Jugendliche ansprechen und generell Leute anlocken, die normalerweise nicht ins Museum gehen.

Bildungsferne – noch so ein Charakteristikum, das Gesundbrunnen und seinem Nachbarortsteil Wedding zugeschrieben wird. Immer freitags von 10 bis 18 Uhr soll das Museum geöffnet sein. Neben Platz für bisher 27 Exponate gibt es auch Raum für den Austausch unter Nachbarn. Dass sich der kleine Ausstellungsraum in einer Kirche befindet, ist Zufall, er war zuvor lange ungenutzt geblieben.

Nun bestehe die Herausforderung vor allem darin, die Muslime wie auch alle anderen Religionsgruppen aus der Nachbarschaft in das christliche Gotteshaus zu locken, nimmt Schultze-Jungheim an. Am Wedding könne man sehen, wie die Welt funktioniert, sagt die 56-Jährige, er sei schließlich auch einer der buntesten Berliner Kieze, mit ganz unterschiedlichen Auffassungen davon, was Müll ist.

Fundstück aus dem Müll-Museum.
Fundstück aus dem Müll-Museum.

© Doris Spiekermann-Klaas

In einer Ecke des Ausstellungsraums steht ein pinkes Plastikflugzeug, mit dem einst Barbie und Ken ihre Reisen unternahmen, so viel verrät zumindest die Größe des Objekts. "Das steht für den unsichtbaren Müll", erklärt Reich. Damit meint die Autorin und Kunsthistorikerin auch den CO2-Fußabdruck, der mit jeder Flugreise größer wird, aber vor allem den Lärm: das Dröhnen und Grummeln, das den Wedding erschüttert, wenn in Tegel Flieger starten oder landen.

Der Künstler Henrik Jakob hat mit Knete einen Döner geformt und geht somit auf den Verpackungsmüll von Fast-Food-Gerichten ein. Gleichzeitig erzähle er mit seiner Arbeit auch von der Gastarbeitergeschichte des Weddings und Gesundbrunnens. Nach der Wende galt insbesondere der Soldiner Kiez als sogenannte Integrationsschleuse. Wer konnte, zog wieder weg. Anhand von Jakobs Objekt könne man auch gut mit Jugendlichen über Ernährung sprechen, findet Reich. Ihr schweben viele Projekte vor, die sie an die Museumsarbeit anknüpfen will. So möchte die 38-Jährige etwa die Hinterhöfe verschönern, um dort Platz für die Anwohner zu schaffen. "Wir möchten denen mit Humor entgegentreten, die ihre Pflicht vernachlässigen", ergänzt Schultze-Jungheim.

Ist das Kunst oder kann das schon weg?
Ist das Kunst oder kann das schon weg?

© Doris Spiekermann-Klaas

Eine Frauengruppe des Vereins "Mensch im Mittelpunkt", die Sozialberatung für Roma anbietet, hat für das Müll-Museum Taschen aus T-Shirts und Kleidern genäht, um sie bei Bäckereien und Kiosken im Kiez gegen Plastiktüten einzutauschen und so auf die Wegwerfproblematik aufmerksam zu machen.

Ein Objekt im Museum erinnert an historische Verbrechen, die euphemistisch als "Säuberungsprozesse" bezeichnet wurden: das Kinderbuch "Ede und Unku" von 1931, das die Autorin Grete Weiskopf unter dem Pseudonym Alex Wedding verfasst hat. Im Zentrum steht die Freundschaft zwischen einem Berliner Jungen und einem Roma-Mädchen. Die Geschichte beruht auf wahren Begebenheiten. Erna Lauenburger, wie das Mädchen in der Realität hieß, wurde in Auschwitz ermordet.

Die Idee zum Museum kam Reich vor vier Jahren. Sie saß in einer Anwohnerversammlung im Soldiner Kiez. Es ging schon wieder um den Müll. Da habe ein Nachbar sich zu Wort gemeldet, erzählt Reich, und vorgeschlagen, eine Roma-Familie, die er der fehlenden Sorgfalt bezichtigte, in die Bahn nach Oranienburg zu setzen. Ob er überhaupt wusste, dass im Konzentrationslager Sachsenhausen in Oranienburg auch Sinti und Roma umgebracht wurden, weiß Reich nicht. '"Müll wird oft politisiert", sagt sie. "Ob irgendwann alle merken, dass jeder etwas tun muss?"

Müll-Museum Soldiner Kiez, Prinzenallee 39, Eröffnung diesen Freitag um 11 Uhr

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Helena Davenport

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