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Probelauf. Der Check-in am Flughafen BER wird mit Koffern getestet – wie schon einmal vor einigen Jahren.

© dpa

Eröffnungsdatum des BER: Und wieder wackelt ein Starttermin

Diesen Freitag will Berlins Flughafenchef das Eröffnungsdatum für den neuen Airport verkünden. Soviel ist ist klar: Es wird erneut ein Wettlauf gegen die Zeit.

Am Flughafen BER naht der Tag der Wahrheit – wieder einmal. An diesem Freitag will Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup bei der Aufsichtsratsitzung das genaue Datum für die Eröffnung des neuen Hauptstadtairports in Schönefeld verkünden. Selbst in der Flughafengesellschaft Berlin-Brandenburg (FBB) sind bisher nur wenige eingeweiht.

Der Oktober 2020, der den Airlines auf einer Konferenz im September genannt wurde, gilt als gesetzt. Der Countdown am BER wird damit scharf gestellt. Falls es womöglich wieder nichts wird, würden Schadenersatzansprüche fällig, etwa bei Airlines, Gastronomen oder Händlern.

Doch eben dieses Schreckensszenario einer erneut platzenden Inbetriebnahme könnte sich wiederholen. Angesichts eines immer enger werdenden Zeitplans besteht elf Monate vorher ein signifikantes Risiko, dass der BER-Start im Oktober 2020 womöglich nicht zu schaffen ist.

Das belegen unter anderem ein interner Bericht des TÜV-Rheinland vom 27. September, weitere FBB-Dokumente oder zuletzt die Zeugenaussage des für die Abnahme zuständigen Brandschutzingenieurs Hartmut Zimmermann vom Bauamt Dahme-Spreewald im Berliner BER-Untersuchungsausschuss.

Die Mängelbeseitigung dauert an

Der rote Balken im Bericht des Tüv Rheinland vom 27. September 2019 könnten zum Problem für die Terminplanung von Flughafenchef Lütke Daldrup werden. Das BER-Dokument, auf dem Deckblatt eine schöne Luftaufnahme des Fluggastterminals (FGT), trägt einen roten Stempel: „vertraulich“.

Die unabhängige Prüforganisation, zuständig für die Freigabe der sicherheitstechnischen Gebäudeausrüstung des BER, der ohne die nötigen Tüv-Zertifikate nicht in Betrieb gehen kann. Die TÜV hatte die Präsentation „BER: Stand der Prüfungen FGT“ zur Aufsichtsratssitzung am selben Tag vorgelegt.

Keine Menschen, viele Koffer: Die Check-In Halle des BER.
Keine Menschen, viele Koffer: Die Check-In Halle des BER.

© AFP

Und danach ist die Lage angespannter als bekannt. So warnt der TÜV, dass die Beseitigung von Mängeln an Sicherheitskabeln zu lange dauert – und die danach nötigen TÜV-Prüfungen „frühestens Ende Februar 2020“ beendet sein können. In einer Zeitleiste ist als „Risikoabschätzung“ dafür sogar ein Balken bis Juni 2020 in signalrot markiert.

Dieser Befund – an dem sich dem Vernehmen nach nichts grundlegend verändert hat – steht in Kontrast zu den Verlautbarungen und Erfolgsmeldungen der letzten Monate. Die Präsentation war so brisant, dass Lütke Daldrup nur eine zensierte Fassung an die Aufsichtsräte ausreichen ließ. Vier Seiten wurden herausgenommen, und erst jüngst, angesichts des Unmuts im Gremium, nachgeliefert.

Der Termin steht seit Ende 2017

Knapp zwei Jahre ist es her, seit Lütke Daldrup – damals war der vorherige Berliner BER-Staatssekretär gerade ein halbes Jahr neuer FBB-Chefmanager – am 15.12.2017 verkündete, dass der neue Airport „im Oktober 2020“ eröffnet werden soll. Elf Monate zuvor war der Start 2017 abgesagt worden.

Das ruhige Innenleben des BER während einer Pressetour.
Das ruhige Innenleben des BER während einer Pressetour.

© AFP

Es folgte eine Verschiebung, diesmal großzügig um drei weitere Jahre. Vorher hatte Lütke Daldrup systematisch und akribisch alle möglichen und unmöglichen Risiken durchspielen lassen. „In der Vergangenheit wurden oft zu optimistische Termine genannt“, hieß es im damaligen FBB-Fahrplan, der ausreichend Zeitreserven vorsah. Damals noch.

Vergleicht man die damalige Lage am BER mit der heutigen, dominieren tatsächlich die Fortschritte. Zahlreiche gravierende Probleme sind gelöst: ob die lange störanfällige Brandmeldeanlage (Bosch), die als „Monster“ berüchtigt gewordene Entrauchungsanlage mit der komplizierten Steuerung (Siemens), die Sprinkler (Caverion) oder die rund 1400 Automatiktüren.

Alle Einzelanlagen funktionieren, sind vom Tüv abgenommen. Die anschließende Wirk- und Prinzip-Prüfung (WPP), bei der der Tüv die Anlagen im Verbund testete, lief glatt.

Allerdings fand auch die schon auf dem letzten Drücker statt, von Ende Juli bis Oktober 2019. Denn die Zeitreserven, die Ende 2017 eingeplant waren, sind aufgebraucht. Und beendet ist auch die Wirk- und Prinzip-Prüfung noch nicht, da sie im seit Jahren fertigen Tiefbahnhof – in Hoheit des Eisenbahnbundesamtes – erst jetzt stattfinden soll, nachdem ein erster Anlauf kürzlich sogar abgebrochen werden musste.

So steht die WPP für den Bahnhof und das heikle Zwischengeschoss zum BER-Terminal darüber noch aus. Die Schnittstelle, die früher schon Brandschutzprobleme bereitete. Im ersten Anlauf hatten die Rauchschürzen nicht richtig funktioniert.

Bauende im August verfehlt

Um das Risiko zu minimieren, erneut einen Eröffnungstermin zu verkünden, der nicht gehalten werden kann, wollte man auf der BER-Baustelle schon sehr viel weiter sein als jetzt, damals im Dezember 2017, Zitat: „Das exakte Umzugsdatum xx. Oktober 2020 sollte Mitte 2019 nach Abschluss der Bauarbeiten und Prüfprozesse im Einvernehmen mit den Airlines festgelegt werden.“

Alles verpackt an den Sicherheitskontrollen am BER.
Alles verpackt an den Sicherheitskontrollen am BER.

© AFP

Abschluss der Arbeiten und TÜV-Prüfungen? Fehlanzeige. Eigentlich sollte die Fertigstellungsanzeige bei der Baubehörde im Kreis Dahme-Spreewald samt der notwendiger TÜV-Bescheinigungen im August 2019 eingereicht sein, im Frühjahr war dafür dann der Oktober 2019 angekündigt. Jetzt kalkulieren die Verantwortlichen, dass dies nun im Februar/März 2020 passieren soll, nur sieben Monate, bevor am BER die bisherigen Tegel-Passagiere abgefertigt werden sollen.

Alte und neue Mängel

Der Hauptgrund für diese Rückstände sind auch nach sechsjähriger BER-Sanierung weiterhin vorhandene alte oder neue Mängel an Kabeln, Trassen und ihrer Befestigungen, etwa nicht zugelassene Dübel. Die inzwischen rund 16 000 vom TÜV identifizierten Kabel-Mängel haben die Zeitpläne durchkreuzt.

Dabei geht es nicht um die normale Stromversorgung, um Steckdosen, sondern allein um Leitungen für die Brandschutzsysteme im Terminal, für die überall strenge Standards gelten. So müssen diese Kabel auch im Brandfall teils 30, teils sogar 90 Minuten eine ununterbrochene Stromversorgung gewährleisten, damit der Qualm abgesaugt wird und tausende Menschen sicher evakuiert werden können.

Koffer, Koffer, Koffer für den Gepäcktest am BER.
Koffer, Koffer, Koffer für den Gepäcktest am BER.

© AFP

Dass sie am BER-Terminal eingehalten werden, darüber wacht vor dem Start der Tüv Rheinland mit seiner Tochter Industrie Service GmbH (TIS). Ohne das Tüv-Zertifikat, dass die Sicherheitsanlagen „betriebssicher“ sind, einwandfrei funktionieren und „ordnungsgemäß“ entsprechend Baugenehmigung und Bauvorschriften errichtet wurden, kann der Airport nicht eröffnen. Es sind Sachverständige, nicht die Firma, die das mit Stempel und Unterschrift bescheinigen müssen und am Ende persönlich dafür haften.

Die Vorgaben nach der für den BER geltenden Brandenburgischen Bauordnung aus dem Jahr 2008 sind eindeutig: Es darf an den Anlagen keine Mängel geben. Das haben TÜV und Baubehörde immer klargestellt. Und auch die FBB hatte sich dazu bekannt: „Die FBB hat das klare Ziel, das Fluggastterminal mangelfrei herzustellen“.

Das ist Kleinarbeit. In einem detaillierten BER-Statusbericht hatte der Tüv am 8. März 2019 rund 11 000 Mängel diagnostiziert, deren Abstellen „mit einem möglicherweise hohen personellen Aufwand, aber auch einer Vielzahl von Rückbauten verbunden ist“. Es geht um nicht gewährleistetem „Funktionserhalt“ im Brandfall, Mischbelegungen von Starkstrom und Schwachstrom, aber auch nicht zugelassene Dübel, für die nachträglich Sondergenehmigungen nötig sind, die aktuell noch ausstehen.

Oder, wie es Brandschutzingenieur Zimmermann plastisch an diesem Beispiel beschrieb: „Dicke Leitungen auf dünnen, das geht nicht.“ Und deshalb wird im Terminal immer noch gebaut, hängen überall noch die Klappen herunter, nimmt die Beseitigung der Mängel deutlich mehr Zeit in Anspruch, als alle erwartet haben.

Flughafengesellschaft und Tüv machen sich gegenseitig Vorwürfe

Entsprechend angespannt ist mittlerweile die Beziehung zwischen der Flughafengesellschaft und den Tüv-Prüfern. In einem Schreiben der FBB an den Tüv Rheinland, das in der Präsentation vom zitiert wird, erklärt die Flughafengesellschaft „ihre äußerste Unzufriedenheit mit dem Verlauf und Fortschritt der Prüfaktivitäten in der AG06“ – gemeint ist die Anlagengruppe 06, die Sicherheitsstromversorgung.

Samt einer Beschwerde, dass die beanstandeten Mängel in den letzten Monaten „um 30 Prozent“ gestiegen seien. Mehr als 16 000 sind es inzwischen. Und es kommen immer noch neue hinzu.

Eine Angestellte einer Reinigungsfirma säubert einen Check-in-Schalter im Terminalgebäude des Hauptstadflughafens BER.
Eine Angestellte einer Reinigungsfirma säubert einen Check-in-Schalter im Terminalgebäude des Hauptstadflughafens BER.

© dpa

Diese Passage findet sich just auf einer der von Lütke Daldrup zunächst zensierten Seiten. Eben dort weist der Tüv Rheinland die Vorwürfe strikt zurück: Die FBB habe die Anlagen„in einem mangelbehafteten und unfertigen Zustand zur Prüfung vorgestellt“.

Dass es immer mehr Mängel wurden, habe einen anderen Grund: „Nach erfolgter Prüfung … mit einer Vielzahl von exemplarischen Mängelfeststellungen hat die FBB dann teilweise die Mängel nur exemplarisch beseitigt: Gleiche Mängel sind im Umfeld der exemplarischen Stelle noch vorhanden, bspw. Kabelknoten nur beiseite geschoben.“

Zudem würden Sachverständige zu Prüfungen für Terminal-Bereiche angefordert, „in denen die Mängelbeseitigung noch nicht begonnen hat oder noch im Gange ist“. Das Fazit des Tüv: Ein Anstieg „der Mängelquote kann den Prüfsachverständigen nicht angelastet werden, wenn die Mängelbeseitigung lückenhaft erfolgt“.

Es folgt ein eindeutiger Hinweis: „Die Vorstellung einer im bauordnungsrechtlichen Sinne mängelfreien prüffähigen Anlage liegt ausschließlich im Verantwortungsbereich der Bauherrin.“ Was das für Auswirkungen auf die Tüv-Abnahmen und damit auf den Inbetriebnahmefahrplan haben könnte? „Voraussichtlicher frühester Abschluss der der Nachprüfungen der derzeit erfassten Mängel etwa Ende Februar 2020“, so der Bericht.

Gepäck, bereit für den Abflug, am BER.
Gepäck, bereit für den Abflug, am BER.

© REUTERS

Das Risiko liege bei der FBB. „Den Umgang mit etwaig verbleibenden Mängeln hat die FBB mit der Behörde zu klären.“ Derzeit könnte eine Bescheinigung der Prüfsachverständigen, so der TÜV, „nicht ausgestellt werden“.

Tüv sieht Risiken bis Juni 2020

Die Risiken werden von beiden Seiten unterschiedlich bewertet. Während mit den Erfolgsmeldungen aus den Präsentationen der FBB für Aufsichtsrat und Parlamente in Berlin und Brandenburg das warnende Rot komplett verschwunden ist und stattdessen Gelb und Grün dominieren, hat der Tüv in seiner Präsentation angesichts seiner Erkenntnisse als „eingestellte Risikoabschätzung bzw. weitere Nachprüfung“ einen kräftigen roten Balken bis Juni 2020 in die Zeitleiste gesetzt. Tritt dieses Szenario ein, wäre eine Eröffnung im Oktober 2020 obsolet.

Seitdem sind einige Wochen vergangen. Doch die Lage hat sich nach Tagesspiegel-Informationen nicht wesentlich verändert, obwohl das Tempo bei der Mängelbeseitigung schneller wird. Aktuell sind, im November 2019, aus FBB-Perspektive noch rund 2000 Kabelmängel vorhanden, die bis Jahresende behoben sein sollen. Rund 7000 Mängel hat die FBB-Objektüberwachung abgemeldet.

Etwa eine Hälfte betrifft den Bau, die andere fehlende Nachweise, Dokumentationen, Errichterbescheinigungen der Firmen, was durch die Insolvenz der Firma Imtech – und der Nachfolge der Firma ROM – bei den Kabeln kein geringes Problem ist. ROM arbeitet mit rund 150 Technikern.

Der Leiter der Objektüberwachung auf der BER-Baustelle hatte bei seiner Vernehmung im BER-Untersuchungsausschuss am 20. September 2019 zwar nur von „Kleinstmängeln“ gesprochen, wozu der Mann auch „Mischbelegungen“ zählte, aber eingeräumt: „Am Ende bleibt übrig, was am schwierigsten zu lösen ist.“ Nach seinen Worten werden Mängel bleiben, die nicht behoben werden können, bei denen man mit Baubehörde und Tüv klären müsse, wie man damit umgehe. Man arbeite bereits an Dokumentationen. Sie rechnen dennoch mit einer Abnahme? Antwort: „Ja!“

Letzte Chance: Eine Lex BER?

Die Flughafengesellschaft lotet schon länger aus, wie Lage entschärft werden könnte. Bei Tüv und Baubehörde wächst längst die Sorge, mit dem Eröffnungstermin unter Druck gesetzt oder am Ende womöglich zum Sündenbock für eine Verschiebung gemacht zu werden.

Vor Monaten schon hatte die FBB einen Vorstoß in Brandenburg gemacht: „Um den Termin der Inbetriebnahme des BER sicher zu erreichen, kann es erforderlich werden, dass die Brandenburger Baubehörden von bisher nicht genutzten Möglichkeiten des Baurechtes Gebrauch machen“, hieß es in einem informellen FBB-Papier.

Angeregt wurden damals eine Nutzungsfreigabe für das Terminal, obwohl noch an Mängeln gearbeitet wird, eine Lockerung der Prüfkriterien oder auch die Anwendung der neuen Brandenburger Bauordnung, die für den BER noch nicht gilt.

Brandenburgs frühere Infrastrukturministerin Katrin Schneider (SPD), in der neuen Kenia-Regierung inzwischen als Staatskanzleichefin direkt für den neuen Airport zuständig ist, hat damals eine „Lex BER“ strikt ausgeschlossen. Im Koalitionsvertrag des Bündnisses aus SPD, CDU und Grünen heißt es: „Der BER ... muss zügig und funktionssicher fertiggestellt und in einen für Tüv und Baubehörde genehmigungsfähigen Zustand versetzt werden“.

Hartmut Zimmermann, der Brandschutzingenieur der Baubehörde, hat klargestellt: „Deals wird es garantiert keine geben.“ Er ließ sich auf keine Aussage festnageln, wie lange die Behörde selbst für die Abnahmen des Terminals benötigen wird. Im ursprünglichen Fahrplan hatte Lütke Daldrup dafür drei Monate eingeplant.

Jetzt läuft es darauf hinaus, dass die Baubehörde dafür womöglich nur wenige Wochen. Das Ok ist nötig, damit spätestens am 30. April 2020 der Probebetrieb beginnen kann, erst mit Belegschaften, im Sommer dann mit 20 000 Komparsen.

Vielleicht können im Oktober 2020 die ersten Passagiere im BER abgefertigt werden. Vielleicht aber auch nicht.

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