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Berlin: Erofeev

Jerofejew

Welchen?, lautet unweigerlich die Gegenfrage, wenn in Russland ein Literaturliebhaber einen anderen fragt, ob er Jerofejew gelesen habe. Welchen Jerofejew? Den lebenden Krakeeler Wiktor, der in aggressiven Essays, seit einigen Jahren auch in deutschen Feuilletons, seine Idiosynkrasien herausschreit? Oder den stillen Alkoholiker Wenedikt, der 1969 ein Poem „Moskau-Petuschki“ schrieb, das schon bald als „unsterblich“ tituliert wurde?

Die Erzählung vom letzten Tag im Leben des Alkoholikers, der vom Kater gequält in einem Moskauer Hauseingang erwacht, wie stets vergeblich den Kreml sucht und nur zum Kursker Bahnhof gelangt. Auf dem Weg diverse Alkoholika konsumiert und von Cocktails aus Schuhwichse und Nagellack fantasiert. Im Delirium die europäische Kulturgeschichte aufrollt und sich eine Oktober-Revolution der Alkoholiker ausmalt, die dagegen aufbegehrt, dass die Spirituosenläden nicht schon im Morgengrauen öffnen. Der in seiner Delikatheit die Selbsterniedrigung Christi nachahmt und schließlich, in Kreuzform niedergeworfen, einen gewaltsamen Opfertod stirbt.

Der 1990 verstorbene Wenedikt Jerofejew ist in den Kanon des 20. Jahrhunderts eingegangen, sein Bild fand auf dem Umschlag einer neuen deutschsprachigen „Russischen Literaturgeschichte“ neben Ý Puschkin, Ý Achmatowa und Dostojewskij (Ý Idiot) Platz. Für den jüngeren Wiktor ist die Namensverwandtschaft ein Verhängnis. Mit „Jerofejew gegen Jerofejew“ hat er aber einen seiner schönsten, bescheidensten Texte geschrieben.

Dirk Uffelmann

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