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Berlin: Erst Hausbesuch, dann Sozialhilfe

Die Behörden prüfen, ob Ansprüche berechtigt sind – und sparen so eine Menge Geld. Aber die Bezirke kontrollieren unterschiedlich streng

Von Stefan Jacobs

Sie sind eine Art Schnittstelle zwischen Philosophie und Verwaltung: die Prüf- und Ermittlungsdienste der Sozialämter. Mit Hausbesuchen sollen die Mitarbeiter klären, ob ein Sozialhilfeempfänger beispielsweise wirklich den neuen Kühlschrank braucht, den er bei seinem Sachbearbeiter beantragt hat. Die dabei angelegten Maßstäbe reichen vom restriktiven Reinickendorfer Modell des dortigen CDU-Stadtrates Frank Balzer bis zur toleranten Linie seines Pankower Kollegen Johannes Lehmann (SPD). Während Balzer stolz 800 000 gesparte Euro im Jahr 2001 verkündete, sagt Lehmann: „So eine Statistik führen wir nicht.“ Er finde es unangemessen, Hilfsempfängern pauschal hinterherzuschnüffeln und einen nicht bewilligten Kühlschrank als Ersparnis zu preisen.

Der Bezirk Mitte hat nicht nur besonders viele Sozialhilfeempfänger, sondern mit zwölf Mitarbeitern auch einen überdurchschnittlich großen Prüfdienst. Der wird beispielsweise aktiv, wenn jemand alle halbe Jahre einen neuen Kühlschrank beantragt. Neben Hinweisen der Sachbearbeiter gehen auch anonyme Tipps, etwa von Nachbarn, ein. Von Januar bis einschließlich November 2002 haben die Prüfer rund 6000 Hilfsempfänger besucht – und in vier von fünf Fällen Einsparungen veranlasst; insgesamt 816 000 Euro. Allerdings betont Sozialstadtrat Christian Hanke (SPD), dass die Prüfer mit Augenmaß vorgingen und meist nur einzelne Posten von langen Antragslisten streichen ließen. Letztlich gehe es darum, unnötige Ausgaben von Steuergeldern zu vermeiden, ohne einen pauschalen Betrugsverdacht zu hegen. Im Gegenteil: Gerade ältere Leute wüssten oft nicht, dass sie sich beispielsweise den neuen Anstrich ihrer vier Wände vom Amt sponsern lassen können und bekämen entsprechenden Rat.

Meist melden sich die Mitarbeiter an, aber „oft resultiert der Erfolg auch aus dem Überraschungseffekt“, sagt ein Außendienstler. Etwa um zu sehen, ob jemand wirklich allein wohnt, oder ob er vielleicht ein üppiges Einkommen des Lebenspartners verschweigt.

Ähnliche Erfahrung hat auch Claudia Schirrmeister, die das Sozialamt Lichtenberg leitet, gemacht: „Wir gehen möglichst unangemeldet, denn sonst werden die anderen Zahnbürsten rechtzeitig weggeräumt, oder der Fernseher verschwindet im Keller. „Nach einer ersten Prognose hätten die acht Mitarbeiter dem Bezirk im vergangenen Jahr rund 100 000 Euro gespart. Der Neuköllner Stadtrat Michael Büge (CDU) rechnet für seinen Bezirk sogar mit 400 000 Euro, sein Steglitz-Zehlendorfer Kollege und Parteifreund Stefan Wöpke bezifferte die dortige Ersparnis kürzlich auf 615 000 Euro.

Im Null-Toleranz-Bezirk Reinickendorf haben die acht Prüfer nach einer ersten Schätzung von Sozialamtsleiter Hans-Ulrich Behrendt 2002 wohl wieder 800 000 Euro „erwirtschaftet“. Genaue Zahlen werde Stadtrat Balzer wohl im Februar präsentieren.

Mittes Stadtrat Hanke vermeidet es, den rigorosen Nachbarbezirk direkt zu erwähnen. Aber er sagt, dass Mitte vergleichsweise wenig Klagen vor den Gerichten durchzustehen habe. Denn oft sei es Ansichtssache, ob ein Kühlschrank noch funktioniere oder nicht.

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