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Berlin: Erst Heilwasser, dann Abwasser

In Wedding wurde die Panke vom lauschigen Kurflüsschen zur stinkenden Stadtkloake

Die Quelle entsprang in einer überaus anmutigen Gegend, „dichte an dem Pankeflusse, aus den mineralischen Gründen einer schönen Wiese“. Der Gesundbrunnen im Norden der Stadt war die Entdeckung des Jahres 1701. Ein paar Jahre später bekam die Residenzstadt Berlin tatsächlich ihr eigenes Heilbad, ganz der damaligen Mode entsprechend. Das feine, kohlensäurehaltige Wasser aus den Pankewiesen sollte, so versicherte es der Hofapotheker Behm, gegen „kaltes Fieber, verstopfte Eingeweide, Hypochondrie, Bleichsucht, Verschleimung des Geblüts, Gliederreißen, Blähungen und Ohrenschmerzen“ zuverlässig Wirkung tun.

Der Legende nach war es der König, Friedrich I. selbst, der die wundersame Wirkung des Wassers zuerst entdeckt hatte. Von einer Kaninchenjagd erschöpft, soll er sich von der Müllerin an der Panke persönlich ein Glas Wasser erbeten haben, fühlte sich danach erstaunlich erfrischt und ließ das Wasser wissenschaftlich untersuchen. Stark eisenhaltig war die Quelle, die man später mit einem zierlichen Rokokohäuschen überbauen ließ und mit eleganten Gästeresidenzen umgab.

Die Gesundbrunnen-Kur nach Hofapotheker Behm beinhaltete: zunächst Aderlass, dann „gelindes Schwitzen“ im heißen Quellwasser, Frottieren, Ausdünsten und anschließend „gelindes Promenieren“ in der lieblichen Natur des damals noch vollständig ländlichen Wedding. Sogar in den Apotheken der Stadt wurde das Wasser auf staatliche Anweisung verkauft.

Als Luisenbad erlebte der Gesundbrunnen Anfang des 19. Jahrhunderts noch einmal eine letzte Blüte, auch wenn der Glaube an das Heilwasser schließlich immer mehr verblasste. Dafür wurde der Wedding zum Ausflugsziel der Berliner, zur Sommerfrische, schließlich zum Amüsierviertel. Die Grundstückspreise am Ufer der Panke explodierten und irgendwann zählte nur noch der Preis: Man verkaufte an jeden. So siedelten sich seit 1850 Brauereien, Papiermühlen, Stoffbleichen und mehr als 20 Gerbereien an dem Fluss an. Sogar von „Knochenkochereien“ wissen Historiker zu berichten und von einem Tierhof, wo sie die Kadaver unversehens in die Fluten warfen. Auch wenn die Obrigkeit Sauberkeit anmahnte, heimlich leiteten alle ihren Unrat in die Panke. Pro Gerberei waren das zum Beispiel „500 Eimer Hundekot pro Tag“. Die kleine Panke stank. Kinder, die hineinfielen, wurden krank. Und das ausgerechnet am Gesundbrunnen, wie schon die Zeitgenossen entsetzt bemerkten. Am Ende des 19. Jahrhunderts versiegte dann eines Tages auch noch die Quelle am Ufer. Als hätte es sie nie gegeben. kiw

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