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Berlin: Erst mal kurieren

Finanzsenator will den Gesundheitsdienst halbieren Behörden streiten über einen Städtevergleich

Schwangerenberatung, Vorschuluntersuchungen, Psychiatrische Krisendienste oder Behindertenbetreuung – der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) in Berlin, den jährlich zehntausende Menschen in Anspruch nehmen, soll nach dem Willen des Finanzsenators Thilo Sarrazin (SPD) massiv zusammengestrichen werden. Nach Tagesspiegel-Informationen fordert Sarrazin, die Zahl der ÖGD-Mitarbeiter in den kommenden fünf Jahren von jetzt 2000 auf 950 zu reduzieren – 700 mehr, als von der zuständigen Senatsgesundheitsverwaltung angeboten. Dort ist man empört: „Ein so massiver Abbau wäre das Ende eines den Berliner Problemen angemessenen Öffentlichen Gesundheitsdienstes“, sagt Gesundheitsstaatssekretär Hermann Schulte-Sasse. „Unverantwortlich“ nennt auch Oppositionspolitikerin Elfi Jantzen von den Grünen die Forderung Sarrazins. „Damit gefährdet er Kernaufgaben des Dienstes wie die therapeutische Betreuung behinderter Kinder oder die Aids-Aufklärung, und das in Zeiten steigender Infektionszahlen“, sagt Jantzen.

Hintergrund ist ein Vergleich der Personalausstattung des Gesundheitsdienstes in anderen Großstädten, darunter Hamburg, Frankfurt am Main und Magdeburg. Dieses „Benchmarking“ habe ergeben, dass der Dienst in Berlin auch mit deutlich weniger Stellen seine Aufgaben erfüllen könne als in der Planung der Gesundheitsbehörde vorgesehen, sagt der Sprecher der Finanzverwaltung, Matthias Kolbeck. Und nicht alle ÖGD-Aufgaben müssten Landesbedienstete erledigen.

„Die Zahlen weisen schwere Mängel auf, die keinen realistischen Vergleich erlauben“, widerspricht Schulte-Sasse. Viele der Aufgaben des Gesundheitsdienstes seien in den Städten anders zugeordnet und tauchten deshalb auch beim dortigen Gesundheitsdienst nicht auf.

Die Änderungswünsche des Finanzsenators haben die Gesundheitsverwaltung vor allem deshalb kalt erwischt, weil diese bereits seit zwei Jahren an einer Reform des Gesundheitsdienstes werkelt – möglichst im Konsens mit allen Beteiligten. Dafür schuf man ein Gremium, in dem auch die Bezirke vertreten sind, die in Berlin einen großen Teil der Aufgaben des ÖGD organisieren. Man lud die Betroffenen zu Anhörungen ein und setzte sich mit den Protesten zum Beispiel von Behindertenverbänden oder der Kritik von CDU-Politikern auseinander, die eine Rotstiftpolitik zu Lasten der Schwächsten beklagten. Die Vorgabe: Zehn Prozent der Jahres-Personalkosten von 84 Millionen Euro müssen durch die Reform eingespart werden.

Nun ist man fertig, der Gesetzentwurf für die Reform, der laut Zeitplan schon am 1. Januar, nun aber frühestens Mitte 2006 in Kraft treten soll, liegt vor. Man will Beratungszentren an weniger Standorten konzentrieren, Aufgaben an Dritte delegieren und wieder andere verlagern – so zum Beispiel die therapeutische Betreuung von 2400 behinderten Kindern und Jugendlichen an Kitas und Schulen, die an die Schulverwaltung übergeht.

Die zweijährige Arbeit an der Reform könnte angesichts der überraschenden Forderung der Finanzverwaltung umsonst gewesen sein. Nun suchen beide Seiten nach einem Kompromiss. Für heute ist ein Krisengespräch zwischen Gesundheitsstaatssekretär Schulte-Sasse und seinem Kollegen aus der Finanzverwaltung, Hubertus Schulte, angesetzt.

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