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Berlin: Erst wollte Günter Salomon in den Westen fliehen, dann fand er in der nationalen Volksarmee kommunistische Vorbilder

Wenn sich ein Jahrhundert neigt, haben Erinnerungen Konjunktur. Oft berichten die "Profis" der Geschichte: Politiker, Wissenschaftler, Künstler.

Wenn sich ein Jahrhundert neigt, haben Erinnerungen Konjunktur. Oft berichten die "Profis" der Geschichte: Politiker, Wissenschaftler, Künstler. In unserer Serie kommen Berlinerinnen und Berliner zu Wort, in deren persönlichen Erlebnissen sich die "große Geschichte" spiegelt. Viele Gesprächspartner hat uns die Zeitzeugenbörse (Tel.: 44046378) vermittelt. Der Bericht wurde aufgezeichnet von Gundula Hörr.

Zum ersten Mal hatte ich 1944 näher mit der Armee zu tun. Ich war gerade 15 Jahre alt, als meine Klassenkameraden und ich als Flakhelfer eingesetzt wurden und später im Endkampf die Front verteidigen sollten. Wir waren mit einem Fahrrad, zwei Panzerfäusten und einem zehnschüssigen Selbstladekarabiner ausgerüstet. Einige meiner Klassenkameraden fielen, ich selbst wurde verwundet und hatte jede Menge Granatsplitter im linken Bein.

Trotz dieser schlechten Erfahrung diente ich später wieder beim Militär. Ich lebte 1947 mit meiner Familie in Rechlin an der Müritz, als ich die Dienstverpflichtung für den Uranbergbau nach Sachsen erhielt. Ich versuchte in den Westen zu fliehen, doch wurde geschnappt und ins sowjetische Militärgefängnis gebracht. Erst als ich meine FDJ-Mitgliedschaft nachweisen konnte, ließ man mich frei.

Der 1. Kreissekretär der FDJ in Waren meinte danach zu mir: "Du hast nur eine Möglichkeit, dem Uranbergbau zu entgehen: Melde dich bei der Polizei." Es gab damals die reguläre Polizei und die Polizeieinheiten, die später zur kasernierten Volkspolizei und 1956 zur Nationalen Volksarmee, zur NVA, wurden. Ich machte verschiedene Lehrgänge, arbeitete bei den Polizeieinheiten und verließ 1950 die Polizeioffiziersschule in Güstrow als Offizier. Die Ausbildung war schon militärisch und nicht mehr polizeidienstlich. Unser Schulleiter war früher ein Major der Hitler-Wehrmacht, ein Ritterkreuzträger, der 1941 als Kommandeur eines Panzerbataillons fast bis nach Moskau vorgestoßen war. Bei uns musste er sich natürlich umstellen, zumal das Militär etwas anders als im Westen organisiert war.

Für die Deutsche Demokratische Republik war es zunächst schwer, gut ausgebildete Leute zu finden. Wo sollten die militärischen Kenntnisse auch herkommen? Jedenfalls war man froh, wenn jemand wie unser Schulleiter tatsächlich etwas konnte. So wurden zunächst etliche Mitglieder der Wehrmacht, auch ehemalige Generale, wieder eingestellt. Erst ab 1958 durfte niemand mehr in der Nationalen Volksarmee arbeiten, der zur Nazizeit den Dienstgrad Major und höher inne hatte.

Die FDJ warb häufig in den Schulen für die Mitgliedschaft in der kasernierten Volkspolizei. Es war gar nicht leicht, Nachwuchs zu rekrutieren, denn nach dem Krieg hatten viele genug von Armee und militärischem Drill. Dabei gab es durchaus einige Vorteile als Polizist: So hatte man nach der zweijährigen Dienstverpflichtung bessere Chancen zu studieren. 1948/49 bekamen wir zusätzliche Lebensmittelkarten wie die Bergarbeiter, und unsere Ferienheime waren besser ausgestattet als die des FDGB. Ab 1954 wurden wir auch für DDR-Verhältnisse überdurchschnittlich gut bezahlt. Und nach meiner Hochzeit erhielt ich, weil ich bei der Polizei war, schneller eine Wohnung. Auf meinen Wartburg musste ich allerdings genauso lange warten wie andere.

1951 bin ich nach Berlin in die Hauptverwaltung für Ausbildung in Adlershof versetzt worden. Hier arbeitete ich auch 1953, als die Volkspolizei zur Niederschlagung des Aufstandes eingesetzt wurde. Wir hatten damals das Gefühl, dass die Demonstranten den sozialistischen Aufbau störten. Ich leistete in den Tagen meinen normalen Dienst. Nur eines war anders: Wir gingen, so der Befehl, in Zivil nach Hause. Das war ganz in unserem Sinne, schließlich war die Stimmung ziemlich aufgeheizt.

Obwohl ich den Polizeidienst zunächst nur als Alternative zum Uranbergbau gesehen habe, fand ich doch schnell viel Spaß an der Arbeit. Ich hatte in der Armee Vorbilder, vorwiegend Kommunisten, die schon im Spanienkrieg gekämpft hatten oder als Partisanen im Weltkrieg gegen die Deutschen. Und dann war ich auch begeistert von dem ganzen Aufbau in der DDR. Es herrschte ja eine Aufbruchstimmung in den 50-er Jahren. Vor allem nach dem Aufstand 1953 änderte sich einiges zum Besseren. Die Arbeitsnormen wurden gesenkt, Lebensmittelkarten abgeschafft, und es keimte kurzzeitig etwas mehr Hoffnung auf.

Weil ich bei der Armee war, durfte ich keinen Kontakt zu meinen Verwandten im Westen haben und nicht nach West-Berlin fahren. Wenn ich meine Eltern in Mecklenburg besuchte, konnte ich daher nicht die Züge vom Stettiner Bahnhof, dem heutigen Nordbahnhof, nehmen, denn dann wäre ich durch den Wedding und Reinickendorf gefahren. Stattdessen musste ich in Oranienburg einsteigen.

In Berlin habe ich in der Abteilung für Organisation an der Gründung der Nationalen Volksarmee 1956 mitgewirkt. Dabei wurden die Mitarbeiter der kasernierten Volkspolizei einzeln gefragt, ob sie bereit seien, in der NVA weiter zu arbeiten. Wenn einige nicht wollten, gab es die sogenannte Überzeugungsarbeit, die manchmal fast kriminell war. Ein Kommandeur machte alle möglichen Versprechungen. So wollte er Brennholz für die Gebirgsdörfer im Erzgebirge besorgen, aus denen die Bereitschaftspolizisten kamen, und das wurde tatsächlich auch gemacht.

Ich schied 1960 aus gesundheitlichen Gründen aus der Armee aus und arbeitete nachher unter anderem im Büro des Ministerrates. Weil ich damals noch blauäugig war und freimütig erzählte, was mir ein Generalstaatsanwalt über den ungarischen Aufstand 1956 berichtet hatte, wurde ein Disziplinarverfahren gegen mich eingeleitet. Ich wurde fristlos entlassen und aus der SED ausgeschlossen.

Zu meinen alten Kollegen vom Militär durfte ich keine Kontakt mehr haben. In gewisser Weise hatte ich Glück, dass es da schon die Mauer gab und ich nicht mehr in den Westen konnte. Sonst wäre ich, bevor ich überhaupt hätte fliehen können, wegen meines militärischen Wissens bestimmt im Gefängnis gelandet.

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