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© defd Deutscher Fernsehdienst

Berlin: Erzähler des Augenblicks

In der Kameraausbildung an der dffb in Berlin geht es um Mut und Sensibilität

Sophie Maintigneux war elf Jahre alt, als sie in einem Film mitspielte, der von einer Kamerafrau gedreht wurde. Damals begann sie, sich für diesen Beruf zu interessieren – und die Faszination ließ sie nicht mehr los. Nach dem Abitur begann Maintigneux als Materialassistentin, stieg schnell zur Kameraassistentin auf, sammelte eigene Dreherfahrungen, und schon im Alter von 23 Jahren bekam sie einen Anruf des Regisseurs Eric Rohmer, der eine Kamerafrau suchte. Maintigneux bot an, ihm Kurzfilme von sich zu zeigen, aber Rohmer entgegnete, nein, nicht nötig, wir drehen einen Tag, schauen uns die Muster an, und dann entscheide ich mich. „Diese Art Vertrauen“, sagt die gebürtige Französin, „existiert kaum mehr.“

Die Liste der Regisseure, für die Maintigneux seither in fast dreißig Berufsjahren im Spiel- und Dokumentarfilmgenre die Kamera geführt hat, ist beeindruckend. Zumal der Beruf des „Directors of Photography“ bis heute, trotz mancher Bewegung, eine Männerdomäne ist. Im deutschen Bundesverband Kamera (BVK) liegt der Anteil der Kamerafrauen bei gerade mal acht Prozent. „Es war nicht leicht, sich durchzusetzen“, sagt Maintigneux, das habe sie nicht vergessen, auch deswegen achte sie nun als Dozentin darauf, dass gleiche Chancen für Studentinnen und Studenten bestünden.

Seit vier Jahren ist Sophie Maintigneux feste Dozentin an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb), bereits seit 1991 war sie als Gastdozentin an der renommierten Filmschule tätig. Sie selbst hat ihren Weg über die Praxis gemacht, über das Learning by Doing, aber raten würde sie einem jungen Menschen dazu heute nicht. „Wir hatten damals viel mehr Zeit, unseren Beruf zu erlernen“, sagt sie, „der Erfolgsdruck war noch nicht so ausgeprägt.“

Mittlerweile ist die Konkurrenz enorm. Um die Studiengänge Regie und Kamera bemühen sich allein an der dffb pro Jahr bis zu 400 Bewerber, aufgenommen werden sechs im Studiengang Kamera und zwölf im Fach Regie. Freilich verfügt mittlerweile fast jedes Bundesland über eine Filmschule, die Jahr für Jahr ihre Absolventen in einen überschaubar großen Markt entlässt. Allein, wer für die Filmkunst entflammt ist, wird sich vom Wettbewerb nicht schrecken lassen.

Was also muss ein Bewerber in Sophie Maintigneux’ Augen mitbringen? „Persönlichkeit“, entgegnete sie ohne zu zögern. „Mut, Sensibilität. Der entscheidende Punkt ist: Wie sieht jemand die Welt?“ Dass ein junger Mensch noch nicht wisse, wie er von dieser Welt erzählen solle, sei selbstverständlich, dafür sei ja die Ausbildung da. Aber wie wach, wie eigenwillig jemand seine Umgebung wahrnimmt, das interessiert die Dozentin an einem Bewerbungsfilm mehr als die Frage, ob die Schärfe stimmt. Die Kameraausbildung ist eine Schule des Blicks, doch die Augen öffnen kann sie niemandem.

An der dffb können sich auch Studienwillige ohne Abitur bewerben. Dies ist bundesweit eine Besonderheit. Die Regelstudienzeit beträgt acht Semester, in den meisten Fällen dauert die Ausbildung etwas länger. Im ersten Studienjahr werden die Studierenden sämtlicher Fachrichtungen – Kamera, Regie, Produktion und Drehbuch – gemeinsam unterrichtet, die Spezialisierung beginnt im zweiten Jahr. Die Übungsfilme entstehen auf 16-mm-Film.

Schon im ersten Jahr werden die Studierenden mit sämtlichen Bereichen des Filmemachens konfrontiert. Sie analysieren Aspekte des Schnitts, lernen Schauspielerführung, drehen ihren ersten Dokumentarfilm, durchlaufen einen Production-Crashkurs, befassen sich mit Lichtgestaltung ebenso wie mit Filmgeschichte. Und natürlich vertiefen sich die Kamerastudierenden in die technischen Anforderungen ihres Fachs, in Filter, Farbtemperatur, Tiefenschärfe.

Das Curriculum für die Kameraausbildung hat Maintigneux maßgeblich mitgestaltet. Charakteristisch für ihren Zugang ist ein Seminar, das schon im ersten Jahr angeboten wird und den Titel „Die Kamera als Erzähler“ trägt. Die Übungen werden nicht nur unter dem Aspekt betrachtet, ob eine Einstellung gut belichtet ist, sondern auch unter dramaturgischen Gesichtspunkten: Warum hast du dich für diese Kamerafahrt entschieden, was sagst du damit aus? Wer die Kamera führt, erzählt schließlich nicht weniger als ein Autor oder Regisseur.

Was gibt Sophie Maintigneux ihren Absolventen, die das Studium mit einem Langfilm abschließen, für die Zukunft mit? „Ich sage ihnen, dass ihr beruflicher Weg nie gerade verlaufen wird. Es wird Phasen geben, in denen dein Name angesagt ist, in denen viele Produktionsfirmen und Regisseure mit dir arbeiten wollen, und solche, in denen niemand anruft. Ohne dass dafür eine Erklärung existierte.“ Sie rät zur Geduld. Und dazu, sich selbst treu zu bleiben, statt sich aus vermeintlichen Marktanforderungen anzudienen.Patrick Wildermann

Weitere Informationen unter www.dffb.de

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